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Wolfgang Jüttner

© dpa

Interview: „Wer zu viel schielt, verliert den scharfen Blick“

Niedersachsens SPD-Kandidat Wolfgang Jüttner hat im Landtagswahlkampf einen schweren Stand. Im Tagesspiegel-Interview spricht er über den Wahlkampf, Polarisierung und seinen Konkurrenten Christian Wulff

Herr Jüttner, als SPD-Spitzenkandidat Niedersachsens haben Sie Probleme, zu dem weichen Christian Wulff auf Konfrontation zu gehen. Ihrer hessischen Kollegin Andrea Ypsilanti gelingt das gegenüber dem kantigen Roland Koch besser. Neidisch?

Nein. Aber natürlich ist es so, dass Polarisierung die Menschen eher zu den Wahlurnen treibt. Aber auch in Niedersachsen sind die Alternativen sehr deutlich, daran ändert auch ein auf der Zielgerade wackelnder Wulff nichts. Für die SPD wird entscheidend sein, die Millionen Menschen zu mobilisieren, die laut Umfragen mit der derzeitigen Landespolitik unzufrieden sind.

Hat sich Ihr Bild von Christian Wulff im Laufe des Wahlkampfs verändert?

Der amtierende Ministerpräsident hat sich im Grunde genommen genauso verhalten, wie ich das von ihm mit Hinblick auf den Wahltermin erwartet habe: Er breitet über die jahrelangen Zumutungen seiner Regierung für Land und Leute jetzt das Mäntelchen des Schweigens, schmückt sich mit den fremden Federn eines allgemeinen konjunkturellen Aufschwungs und macht in allen Bereichen, die seinen Machterhalt gefährden könnten, unseriöse Wahlversprechen, an die er sich nach dem 27. Januar nicht mehr erinnern würde. Insofern hat sich mein Bild von ihm während des Wahlkampfes nicht gerade verbessert.

Sie haben Wulff im Wahlkampf recht direkt sein Privatleben vorgehalten. Auch eine Form des Populismus. Sind Sie überrascht davon, dass Ihre Aussagen und die Ihrer Frau so sehr auf Sie zurückgefallen sind. Müssen Sie sich entschuldigen?

Wir konzentrieren uns im Wahlkampf weiter wie bisher auf unsere zentralen Themen. Diese sind: Chancengleichheit, gute Arbeit, Mindestlohn, zukunftsfeste Wirtschaft gewährleisten und sozialen Zusammenhalt schaffen. An diesem Drehbuch haben wir nichts geändert.

Das ist Ihre Antwort?

Ja.

Wie sieht Ihre Strategie für die letzte Wahlkampfwoche aus?

Wir werden beharrlich unsere Kernbotschaften der vergangenen Wochen und Monate betonen, denn wir wollen die Wählerinnen und Wähler mit den besseren Argumenten begeistern: Abschaffung der Studiengebühren, kostenloser Kitabesuch, Einführung der Lernmittelfreiheit, Ausstieg aus der Atomenergie, flächendeckender Mindestlohn, Kampf gegen Kinderarmut, gleiche Bildungschancen für alle und eine attraktive Wirtschaftspolitik insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen – das sind die Stichworte.

Hätten Sie nicht im Wahlkampf stärker Positionen der Mitte betonen müssen, denn schließlich schielen Sie doch auch auf jene Wähler, die 2003 der CDU ihre Stimme gegeben haben?

Wer zu viel schielt, verliert schnell den scharfen Blick aufs Wesentliche. Aber im Ernst: Gerade in dieser Zeit ist es doch unser zentrales Thema Gerechtigkeit, das mitten in der Gesellschaft tief verwurzelt ist. Wir wollen, dass alle Menschen im Land die gleichen Startchancen haben, um entsprechend ihren Fähigkeiten etwas für die Gesellschaft zu leisten. Leistung muss sich lohnen – für Akademikerfamilien wie für Arbeiterfamilien. Darum geht es bei der Mitte.

Viele Menschen haben Angst vor Altersarmut, wie begegnen Sie derartigen Sorgen?

Für uns ist klar: Die Renten von morgen stehen in Zusammenhang mit den Löhnen und Gehältern von heute. Das heißt, wir benötigen Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, um der drohenden Altersarmut vorzubeugen. Ein geeignetes Instrument dazu sind flächendeckende Mindestlöhne, aber auch eine Beschränkung der Leiharbeit. Gleichzeitig müssen die heutigen Rentner angemessen am derzeitigen Aufschwung beteiligt werden. Nach einigen Nullrunden muss es jetzt spürbare Rentenerhöhungen geben, zumal sich ja zum Teil deutliche Lohnerhöhungen in diesem Jahr abzeichnen.

Die Fragen stellten Klaus Wallbaum und Armin Lehmann.

Wolfgang Jüttner, 59, ist seit 1970 in der SPD. Er gehört dem SPD-Bundesvorstand an und ist Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen.

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