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Interview: "Wir dürfen uns an der Linkspartei nicht abarbeiten"

Die Sprecherin der Ost-SPD-Bundestagsabgeordneten Iris Gleicke über die Zukunft von Rot-Rot und die langen Schatten der Stasi.

In Ostdeutschland sind rot-rote Bündnisse auf Landesebene schon länger kein Tabu mehr. Würden Sie auch von einem Zukunftsmodell sprechen?

Wir kämpfen für das, was wir für richtig halten. Für die Bündnisse gilt: Darüber wird vor Ort in den Landesverbänden entschieden. Mit wem wir die meisten unserer Positionen durchsetzen können, mit dem koalieren wir. Auf keinen Fall ist Rot-Rot eine Prinzipienfrage – weder im positiven noch im negativen Sinne.

Bei der Bundestagswahl hat die Linkspartei der SPD vor allem in Ostdeutschland die Stimmen abgegraben. Was sind Ihre Lehren aus dem 27. September?

Wir haben offenbar einen großen Teil unserer sozialen Kompetenz eingebüßt und wir haben an Glaubwürdigkeit verloren. Das tut schon weh. Wir müssen daraus Konsequenzen ziehen und haben auf dem Parteitag in Dresden damit begonnen. Was die Linkspartei angeht: Wir dürfen uns an denen nicht abarbeiten. Aber wir stehen mit denen in einem Wettbewerb, den wir auf keinen Fall als einen Überbietungswettbewerb gewinnen können. Die Linke können wir mit ihren überzogenen Forderungen etwa beim Mindestlohn nicht einfach überbieten, sonst setzen wir unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Wir müssen stattdessen unsere eigenen Positionen glaubwürdig vertreten.

Die Linkspartei hofft, dass sich das Verhältnis zur SPD unter dem neuen Parteichef Sigmar Gabriel entspannt. Ist das berechtigt?

Ja. Wo Zusammenarbeit möglich ist, wollen wir sie auch praktizieren. Sigmar Gabriel hat in Dresden gesagt: Es gibt keine Koalitionen aus Prinzip, und wir schließen keine aus Prinzip aus. Alles andere wäre auch bescheuert, weil man sich der einen oder anderen Bündnisoption berauben würde, über die man eigene Inhalte durchsetzen könnte. Wir sollten aber alle Möglichkeiten nutzen.

In Thüringen ist ein Linksbündnis an der Vorfestlegung der SPD gescheitert, keinen linken Ministerpräsidenten zu wählen. Wird die SPD künftig in anderen Ländern über diese Hürde springen?

Die Frage, wer in Thüringen Ministerpräsident wird, war nicht allein entscheidend. Letztlich fehlte die Vertrauensbasis zwischen den handelnden Personen. Die Frage, ob die SPD künftig einen linken Ministerpräsidenten wählen würde, stellt sich heute nicht.

Aber schon jetzt bestimmen die Parteien ihre Spitzenkandidaten etwa für die Wahlen 2011 in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.

Ich habe nichts gegen Rot-Rot. Wenn die Linke pragmatische Leute ins Rennen schickt, solche, denen wir vertrauen können, wird vieles ganz automatisch leichter. Wenn die Inhalte und ein Grundvertrauen zwischen den handelnden Personen stimmen, wird es auch weitere Koalitionen geben.

Und anschließend werden die Weichen für Rot-Rot-Grün im Bund gestellt?

Es gibt keine Koalition in der Opposition. Aber ich bin sicher, dass wir im Bundestag – wenn es die Inhalte zulassen – zum Beispiel mit gemeinsamen Anträgen zunehmend die Kräfte bündeln werden. Natürlich hat der Alltag im Parlament pragmatische Folgen.

Haben die Stasi-Fälle in Brandenburgs Linkspartei Rot-Rot als Modell geschadet?

Diese Vorgänge haben das rot-rote Bündnis in Brandenburg nicht dauerhaft in Misskredit gebracht, außerhalb des Landes hat das wenig Auswirkungen. Und zuallererst ist es ein Problem der Linkspartei, was dort passiert. Es bleibt die Frage, ob die Linke mit ihrer Vergangenheit immer richtig umgegangen ist.

Hat sie ihre Vergangenheit denn ausreichend aufgearbeitet?

Ich sage: Sie hat es zumindest intensiver getan als die früheren Blockparteien, die in der CDU und der FDP aufgegangen sind. Es war in jedem Fall ein Fehler, im Brandenburger Landtag seit 1990 auf Stasi-Überprüfungen zu verzichten.

Sollte die im Stasiunterlagengesetz noch bis 2011 vorgesehene Überprüfung von Personen in herausgehobenen öffentlichen Ämtern verlängert werden? Sollen auch Abgeordnete weiterhin überprüft werden?

Ja. Aber ich bin für eine differenzierte Betrachtung. Es gab sehr unterschiedliche Biografien: Mancher Täter ist zum Opfer geworden, umgekehrt ist ein Opfer vielleicht im Gefängnis zur Stasi-Mitarbeit erpresst worden. Darüber muss offen gesprochen werden können. Und das setzt voraus, dass die Menschen auch weiterhin in ihre Akten schauen können. Es wäre fatal, wenn die Stasiunterlagenbehörde weitere Außenstellen schließen würde und dann jemand zur Akteneinsicht zum Beispiel aus dem Thüringer Wald nach Berlin fahren müsste.

Warum braucht es fast zwei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit noch eine Landesgruppe Ost der SPD im Bundestag?

Weil es – unabhängig von den Unterschieden etwa zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen – noch eine ganze Reihe von gemeinsamen Interessen gibt. Die müssen wir bündeln, gerade jetzt nach unserer bitteren Niederlage bei der Bundestagswahl. Wir haben uns ja halbiert, sind nur noch 23 statt 46 ostdeutsche SPD-Abgeordnete. Nur gemeinsam sind wir stark!

Und die wollen jetzt der schwarz-gelben Regierung kräftig einheizen?

Die ersten verbalen Ausbrüche der neuen Regierung lassen nichts Gutes erahnen. Der neue Bundesverkehrsminister Ramsauer etwa meinte erklären zu müssen, statt um den Aufbau Ost müsse man sich nun um den Aufbau West kümmern. Das mag ja in seiner Heimat gut ankommen, uns macht es besorgt. Denn den Nachholbedarf im Osten gibt es nach wie vor. Wir wollen keine goldenen Klodeckel, sondern nur ein in etwa gleiches Niveau in Wirtschaft und Infrastruktur wie im Westen. Dass der neue Ost-Beauftragte der Regierung, Innenminister Thomas de Maizière, dazu nichts gesagt hat, war ein Armutszeugnis.

Das Gespräch führten Matthias Meisner und Matthias Schlegel.

Iris Gleicke (45) ist Sprecherin der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten und parlamentarische Geschäftsführerin. Sie stammt aus Thüringen, wo sie stellvertretende SPD-Chefin ist.

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