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Cem Özdemir (45) ist seit 2008 Bundesvorsitzender der Grünen. Von 1994 bis 2002 gehörte er dem Bundestag an, 2004 bis 2009 dem Europaparlament.

© dpa

Interview zum Atomausstieg: Özdemir: "Es liegt jetzt an der Kanzlerin"

Cem Özdemir will mit der Regierung über einen früheren Atomausstieg ohne Hintertüren verhandeln. Der Grünen-Chef über die Bedingungen der Energiewende - und die Glaubwürdigkeit der Regierung.

Von Antje Sirleschtov

Herr Özdemir, Rot-Grün sah einst die Abschaltung des letzten deutschen Atommeilers für 2022 vor. Jetzt ist auch Schwarz- Gelb dort angekommen. Kein Grund für die Grünen, dem Paket zuzustimmen?

Wir freuen uns, dass sich die Bundesregierung mit diesem Kurswechsel vom Herbst der falschen Entscheidungen verabschiedet. Das ist ein Sieg der Anti- Atombewegung. Bevor jedoch der grüne Stempel darauf kommen kann, müssen noch eine Reihe von Pferdefüßen geklärt werden.

Gegen das Datum 2022 haben Sie keine prinzipiellen Einwände?

Wenn man in Verhandlungen geht, dann zunächst mit der eigenen Position. Unser Konzept sieht einen Ausstieg bis 2017 vor. Das ist die Basis für Gespräche. Ob es diese Gespräche überhaupt geben wird, ist allerdings noch nicht zu erkennen. Bis jetzt hat die Kanzlerin nur ihre Position verkündet. Wenn es ernsthafte Gespräche mit den Bundesländern und der Opposition im Bundestag gibt, dann sehe ich eine Chance zur Verständigung.

Die Grünen wollen diese Verständigung?

Niemand hat ein so großes Interesse an einer Verständigung wie wir. Die Grünen sind die Anti-Atomkraft-Bewegung schlechthin, und haben deshalb das größte Interesse an einem politisch unumkehrbaren Atomausstieg. Wenn vier politische Parteien ihre Unterschrift unter einen Atomausstieg setzen, dann wäre das ein Signal an die gesamte Gesellschaft, dass selbst ein Regierungswechsel einen solchen Weg nicht mehr stoppen kann. Es liegt also jetzt an der Kanzlerin, klare Signale zu setzen: Setzt sie nur auf den internen Koalitionsfrieden oder will sie ernsthaft einen breiten gesellschaftlichen Kompromiss verhandeln. Wir stehen dazu 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche bereit.

Wo muss Schwarz-Gelb Ihnen entgegenkommen?

Zunächst muss es ein stufenweises Abschalten geben. Was nicht geht, ist das gleichzeitige Abschalten der bis dahin noch laufenden Atomkraftwerke zum Ende der Laufzeit. Eine solche Lösung würde den Verdacht nähren, dass es am Ende der Laufzeit doch irgend welche Hinderungsgründe gibt, die den Weiterbetrieb rechtfertigen. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die sieben ältesten Atomreaktoren und der Pannenreaktor Krümmel nicht wieder ans Netz gehen. Die Einführung einer sogenannten Kaltreserve, wie das die Bundesregierung nennt, stimmt damit nicht überein. Da fordern wir Klarheit.

Grüne Unterschrift nur gegen Kaltreserve?

Diese Reserve ist doch in Wahrheit nichts anderes als ein koalitionstaktisches Geschenk für die FDP. In den letzten Wochen waren zeitweise nur vier Atomkraftwerke am Netz und trotzdem sind in Deutschland die Lichter nicht ausgegangen. Nun soll plötzlich von einem Alt-Atomkraftwerk „in Reserve“ die Stromversorgung in Deutschland abhängen? Für uns ist das eine Frage der Glaubwürdigkeit der Regierung und wir erwarten den Nachweis von unabhängigen Wissenschaftlern darüber, dass diese FDP-Kaltreserve ausgerechnet durch genau einen Atomreaktor abgedeckt werden müsste. Ein Akw ist doch kein Lichtschalter, den man an- und ausknipst. Für die Grünen ist neben dem Ausstieg aber auch der Umbau der Energiestruktur entscheidend.

Sie meinen den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien?

Genau. Im Konzept der Regierung steht jetzt, diese Energiequellen bis 2020 auf 35 Prozent der Gesamtenergiemenge auszubauen. Das stand aber bereits im schwarz-gelben Konzept des Vorjahres, in dem die Atomkraft im Schnitt 12 Jahre länger am Netz gehalten werden sollte. Unser Verdacht ist daher, dass es der Regierung weniger um den Ausbau erneuerbarer Energien als vielmehr den Ausbau der Kohlekraft geht. Das jedoch ist nicht mit unseren Klimazielen vereinbar, weshalb die Klimaschutzpartei dem nicht zustimmen könnte.

Welches Ziel könnte grüne Zustimmung erfahren?

Der Verband der erneuerbaren Energien geht davon aus, dass 47 Prozent bis 2020 machbar sind. Ich sage: Deutlich über 40 Prozent werden wir brauchen, um unsere Klimaziele erreichen zu können. Und das wird nicht allein über Offshore-Windparks gehen. Wenn es schnell gehen und günstig werden soll, dann wird es ohne einen kräftigen Ausbau der Windenergie in Süddeutschland nicht gehen. Das grün regierte Baden-Württemberg ist beispielsweise dazu bereit, seinen Beitrag zu leisten. Wir erwarten von der Bundesregierung daher, dass sie ein angemessenes Förderkonzept für den Onshore-Bereich vorlegt.

Das Gespräch führte Antje Sirleschtov.

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