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Irak-Geiseln: 99 Tage

Die Leipziger René Bräunlich und Thomas Nitzschke sind frei - die Entführer sollen dafür ein Lösegeld in zweistelliger Millionenhöhe verlangt haben.

Der Tagesspiegel - Es sollen irakische Mittelsmänner gewesen sein, die René Bräunlich und Thomas Nitzschke am Dienstag zur deutschen Botschaft in Bagdad brachten. Nach einer langen Fahrt - vermutlich aus der Nordregion des sunnitischen Dreiecks, dem von Anschlägen und Geiselnahmen schwer heimgesuchten Zentrum des Irak. Wo genau die beiden sächsischen Techniker zuletzt festgehalten wurden, ist offen. Einigermaßen sicher scheint jedoch zu sein, dass sie sich im Gebiet des Dschamburi-Stammes befanden, der die Region nördlich von Bagdad kontrolliert. Und diesem Stamm entgeht offenbar auch nicht, was in der Stadt Beidschi passiert. Hier wurden René Bräunlich und Thomas Nitzschke am 24. Januar entführt, nach Ansicht der Amerikaner von Angehörigen des kleineren Stammes der Qaysi. "Die machen die Drecksarbeit", sagt die CIA. Das ganz große Geschäft, den Poker mit der Bundesrepublik Deutschland, hätten dann die Dschamburi übernommen und ein astronomische Lösegeldsumme verlangt.

Von 40 Millionen Dollar sprechen Experten im Irak. Als die Bundesregierung darauf nicht eingehen wollte, hätten die Hintermänner der Entführer die Videos mit den Bildern der beiden verzweifelten Geiseln als Druckmittel eingesetzt. Doch die Bundesregierung habe sich geweigert, wie auf einem Basar zu feilschen. Die Entführer hätten dann ihre Forderungen zurückgeschraubt, doch bis zuletzt sei es um eine zweistellige Millionensumme gegangen. Die Amerikaner, so heißt es in ihrem Umfeld im Irak, seien außer sich - weil der Preis für westliche Geiseln nun noch weiter steigen werde.

Ob das alles stimmt oder ob sich in solchen Geschichten die Fakten der Entführung mit wüsten Fantasien vermengen, lässt sich so kurz nach der Freilassung von René Bräunlich und Thomas Nitzschke nur schwer analysieren. Auffällig war allerdings bei dieser Geiselnahme, dass die Täter mit einem Namen auftraten, der so pompös wirkte, dass dahinter ein klares Kalkül zu erkennen war. "Kataib Ansar al Tawhid an Sunna", auf Deutsch: "Brigade der Unterstützer von Tawhid und Sunna" - da war alles drin, was den Westen erschrecken kann. Al Tawhid nannte sich früher die Terrorgruppe des Jordaniers Abu Mussab al Sarkawi, der im Irak einen mörderischen Feldzug führt. Im Mai 2004 wurde vor laufender Kamera der von Sarkawis Leuten entführte Amerikaner Nicholas Berg enthauptet - der Terroristenchef beanspruchte für sich, er sei der Vermummte gewesen, der das Messer führte.

Auch Begriffe wie Ansar und Sunna waren geeignet, die Sorgen der Bundesregierung noch zu steigern. Ansar al Sunna nennt sich eine der härtesten Terrortruppen im Irak, ihre Anhänger sind auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern aktiv. Es waren mutmaßliche Mitglieder der Vorläuferorganisation von Ansar al Sunna, sie nannte sich Ansar al Islam, die im Dezember 2004 einen Anschlag auf den damaligen irakischen Premier Ijad Allawi geplant haben sollen - bei dessen Staatsbesuch in Berlin.

Gerade die Ballung furchterregender Begriffe im Namen der Entführer deutete allerdings auch auf das eigentliche Interesse hin: Einen möglichst hohen Preis für das Leben von René Bräunlich und Thomas Nitzschke zu erpressen. Auch die politischen Forderungen, nach Freilassung aller politischen Gefangenen der Amerikaner im Irak und dem Abbruch der deutschen Beziehungen zur Regierung in Bagdad, waren offenbar nur ein rhetorisches Druckmittel. Dass die Bundesregierung nicht daran denkt, sich von Geiselnehmern ihre auswärtige Politik vorschreiben zu lassen und auch nicht über genügend Einfluss verfügt, um über das Schicksal politischer Gefangener im Irak zu entscheiden, wird den Hintermännern der Geiselnehmer bewusst gewesen sein. Doch womöglich ist es ihnen gelungen, den Preis, der im Fall Osthoff gezahlt worden sein soll, noch deutlich zu übertreffen. ()

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