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Irak: Nationale Einheit oder bequeme Mehrheit

Mehr als fünf Wochen hat es gedauert, bis das Ergebnis der irakischen Parlamentswahl endlich vorlag. Doch die Koalitionsverhandlungen für eine Regierung der Nationalen Einheit laufen ohnehin schon seit Wochen.

Kairo - Die Schiiten-Allianz und das Kurdenbündnis, die nach der Wahl vom Januar die Übergangsregierung gebildet hatten, könnten zwar theoretisch auch diesmal mit einer bequemen Mehrheit von zusammen 181 der insgesamt 275 Sitze alleine regieren. Aus Angst vor einer Eskalation des bewaffneten sunnitischen Widerstandes haben sie sich jedoch dazu entschlossen, die Sunniten, deren Parteienbündnisse nach der neuen Auszählung nun zusammen 55 Sitze belegen, mit einzubinden.

Eine erste Annäherung der Standpunkte hatte bereits stattgefunden, als sich Sunniten, Kurden und Schiiten kurz vor der Wahl an einem neutralen Ort, bei der Arabischen Liga in Kairo, trafen. Sie einigten sich damals darauf, dass die Regierung Aufständische, die nicht gegen Zivilisten, sondern ausschließlich gegen die ausländischen Truppen kämpfen, nicht mehr als «Terroristen» abstempeln und verfolgen soll. Außerdem wurde die Forderung der Sunniten nach einem Zeitplan für den Abzug der US-Truppen von der Übergangsregierung zumindest akzeptiert, wenn auch noch kein konkretes Datum genannt wurde.

Doch der Teufel bei diesen Koalitionsverhandlungen, die in den vergangenen Wochen zum Teil nicht in Bagdad, sondern im sichereren kurdischen Norden des Irak stattfanden, liegt im Detail. Und es kann nach Einschätzung arabischer Beobachter auch noch einige Wochen dauern, bis sich die Parteien auf ein Regierungsprogramm einigen und die Frage der Verteilung der Ministerposten klären - wenn sie sich denn überhaupt einigen. Denn es ist auch nicht auszuschließen, dass sich die Sunniten wieder zurückziehen, falls ihre wichtigsten Forderungen von den Schiiten und Kurden nicht erfüllt werden. Dazu gehört unter anderem, dass die föderale Struktur des Staates, die in der im Oktober per Referendum angenommenen Verfassung festgeschrieben wurde, noch einmal abgeschwächt wird.

Auch die US-Regierung, drängt ihre schiitischen und kurdischen Verbündeten in Bagdad nun zur Kompromissbereitschaft. Denn sollte es doch wieder auf eine Regierung ohne Sunniten, die auch im eigenen Lager akzeptiert werden, hinauslaufen, dann wäre mit noch mehr Gewalt zu rechnen. Auch der Graben, der sich in den vergangenen Monaten zwischen den irakischen Widerstandsgruppen und den islamistischen Terroristen der Al-Qaida-Gruppe von Abu Mussab al-Sarkawi aufgetan hatte, könnte sich dann wieder schließen. (Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa)

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