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Politik: Irak vor Bürgerkrieg

Eines der größten Heiligtümer der Schiiten ist gesprengt / Im Land herrscht Angst vor Zerfall des Staates

Die jüngste Gewaltwelle im Irak hat die Angst vor dem Zerfall des Landes massiv erhöht. Am Mittwoch sprengten Unbekannte die vergoldete Kuppel des Al-Askarija-Schreins in der Stadt Samarra in die Luft. Menschen wurden dabei nach ersten Angaben nicht verletzt. Aber der Schrein, der Teil eines großen Grabkomplexes in der nördlich von Bagdad gelegenen Stadt ist, gehört zu den vier wichtigsten schiitischen Heiligtümern im Irak.

Nach der Tat kam es in Samarra, Bagdad, Basra und anderen Städten zu großen Gegendemonstrationen. Dabei wurden auch sunnitische Gotteshäuser angegriffen. Nach sunnitischen Angaben wurden landesweit rund 90 sunnitische Moscheen attackiert. Der Führer der irakischen Schiiten, Ajatollah Ali Sistani, forderte seine Anhänger zu Ruhe auf. Ministerpräsident Ibrahim al Dschaafari rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Zu dem Anschlag bekannte sich zunächst niemand. Experten vermuten, dass eine Gruppe um Terroristenführer al Sarkawi hinter dem Anschlag steht. Der Ex-Statthalter der Terrorgruppe Al Qaida im Irak hatte öffentlich zum Mord an Schiiten und zu Angriffen auf deren Heiligtümer aufgerufen.

Der Angriff auf den Askarija-Schrein ist der dritte Anschlag auf ein schiitisches Ziel innerhalb von drei Tagen. Nach Angaben des irakischen Innenministeriums überwältigten vier Männer am frühen Morgen die Wachen und brachten zwei Sprengsätze im Inneren der Kuppel an. Dabei wurde nicht nur die 1905 erbaute Kuppel zerstört, sondern auch die Nordwand des Mausoleums. Es beherbergt die Gräber des zehnten und elften Imams, direkten Nachfahren des Propheten Mohammed, die die Schiiten als dessen rechtmäßige Nachfolger ansehen. Der verschwundene zwölfte Imam, auf dessen Rückkehr die Schiiten warten, soll sich hier in einer Höhle versteckt haben, bevor er verschwand.

Bereits am Dienstag wurden in Bagdad 22 Schiiten durch eine Bombe getötet. Am Tag zuvor waren bei einem Anschlag in Bagdad zwölf schiitische Tagelöhner gestorben. Die Angst vor einer Welle konfessioneller Gewalt erreichte damit im Irak einen neuen Höhepunkt. Ein Zusammenschluss sunnitischer Parteien forderte eine allgemeine Ausgangssperre.

Der Anschlag auf das auch als „goldene Moschee“ bekannte Heiligtum in Samarra ereignete sich zu einem Zeitpunkt, an dem das Verhältnis zwischen den verschiedenen konfessionellen und ethnischen Gruppen im Irak ohnehin stark gespannt ist. Zwei Monate nach den Parlamentswahlen rangeln Politiker noch immer um die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, in der auch die sunnitische Minderheit vertreten sein soll. Eine Einigung scheiterte bisher an den engstirnigen konfessionellen und politischen Interessen der Führer. Iraks Präsident Dschalal Talabani erklärte, die Tat solle die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit sabotieren.

Doch am Mittwoch bemühten sich zahlreiche Gruppierungen im Irak um eine Beruhigung der Lage. Die Vereinigung Sunnitischer Geistlicher, bisher eine Art Sprachrohr der sunnitischen Minderheit, verurteilte den Anschlag in Samarra als „kriminellen Akt“.

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