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Louis Sarko

© AFP

Irakischer Erzbischof: "Wir Christen fühlen uns abgeschrieben"

Louis Sako ist ein Erzbischof im Irak. Er spricht mit dem Tagesspiegel über die Gewalt gegen Christen, die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und die Zukunft seiner Heimat.

Herr Erzbischof, Sie haben jüngst mit einem dramatischen Appell auf die Gewalt gegen irakische Christen aufmerksam gemacht. Wie ist jetzt die Lage in Mossul?

Die Situation ist ganz schrecklich. Innerhalb einer Woche wurden zwölf Leute ermordet, ganz wahllos. Drei Häuser wurden in Brand gesteckt und zerstört. Mehr als 1500 christliche Familien sind aus Mossul in die umliegenden Dörfer geflohen – und es werden täglich mehr. Unter den Christen herrscht totale Panik.

Sie haben die Regierung Bagdad um Hilfe gerufen. Was ist geschehen?

Ministerpräsident Maliki hat 1000 Soldaten geschickt, die jetzt in der Stadt patrouillieren und die Kirchen schützen. Auch hat man eine Kommission eingesetzt, um die Täter zu identifizieren. Unsere Leute aber wollen nicht zurückkommen, sie haben Angst.

Reicht das Mehr an Sicherheitskräften?

Es hat eine ganze Woche gedauert, bis überhaupt etwas geschehen ist. Eine Regierung hat die Pflicht, ihre Bürger zu schützen. Ich glaube nicht, dass die bisherigen Handlungen ausreichen. Hinzu kommt, dass die Regierung in Mossul sehr schwach ist. Anders in Kirkuk – hier ist alles ruhig.

Wer sind die Täter?

Wir wissen es nicht genau und wollen niemanden ohne Beweise beschuldigen. Aber eines ist klar: Hinter diesen Anschlägen steckt eine Strategie. Die Täter wollen die Christen systematisch aus der Stadt vertreiben.

Was kann die internationale Gemeinschaft tun?

Sie muss auf die Regierung in Bagdad und auf die US-Truppen Druck ausüben, damit sie uns Christen besser schützen. Wir sind eine Minderheit. Aber wir gehören auch zur irakischen Bevölkerung, wir sind irakische Bürger.

Wie viele Christen sind seit der amerikanischen Invasion 2003 geflohen?

Ich schätze, es sind mehr als 200 000, also ein etwa Drittel. Unter Saddam Hussein lebten im Irak rund 700 000 Christen. Seit 2003 sind mehr als 200 Christen getötet worden, vor allem in Bagdad, Basra und Mossul. Der Erzbischof von Mossul, Paul Faraj Rahho, wurde im März entführt und ermordet.

Gibt es Zukunft für die Christen im Irak?

Wir haben eine Zukunft hier, wir wollen hier leben und hierbleiben. Aber nicht nur im Irak, im ganzen Nahen und Mittleren Osten haben die Christen das Gefühl, von der internationalen Gemeinschaft vergessen und abgeschrieben zu sein.

Das Gespräch führte Martin Gehlen.

Louis Sako ist seit 2003 Erzbischof

von Kirkuk. Er wurde 1948 in Mossul

geboren. Er promovierte in den Fächern Theologie und

Islamwissenschaften in Rom.

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