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Das iranische Regime geht regelmäßig gegen Frauen vor, die sich nicht „züchtig“ kleiden.

© imago/Xinhua

Iranische Autorin Roya Hakakian: "Es gibt keine größere Plage für Menschenrechte als Relativismus"

Die iranische Autorin Roya Hakakian spricht über Misogynie im Iran, den Kopftuchzwang und warum Islam und Demokratie nicht vereinbar sind.

Frau Hakakian, Demokratie und Islam seien nicht miteinander vereinbar, haben Sie mal gesagt. Warum nicht?

Ich habe schlichtweg noch niemanden getroffen, der mit einer islamischen Demokratie irgendetwas anderes meinte als eine Bevormundung von Frauen – sei es in Form von Kleidungsvorschriften oder sonst wie. Wenn aber die Hälfte der Bevölkerung um ihre Rechte beraubt wird, handelt es sich bei einer Demokratie mit dem Zusatz „islamisch“ einzig um einen Euphemismus. Das westliche Konzept der Demokratie beruht nun mal auf der säkularen Vorstellung, dass alle Bürger dieselben Rechte besitzen. Übrigens ist das aber kein genuines Problem des Islam, sondern eins von Religionen im Allgemeinen. Genauso wenig wie ich in einer islamischen Demokratie leben möchte, graut es mir bei der Vorstellung von einer jüdischen oder christlichen Demokratie.

Sie haben 1978 auf den Straßen von Teheran gegen Schah Reza Pahlewi demonstriert – was bringt eine jüdische Iranerin dazu, sich die Islamische Revolution herbeizuwünschen?

Das ganze Land war damals von einem tiefen Gefühl der Euphorie erfasst, alle sehnten sich nach dem Ende der Herrschaft des verhassten Schahs. Ich war zwölf Jahre alt, ich wusste also gar nicht so genau, was um mich herum passierte. Die Stimmung im Land hat aber auch mich bewegt und mitgerissen. Ganz anders war das bei meinen Eltern oder vielen anderen Juden in der Stadt. Sie haben die politischen Entwicklungen in diesen Tagen mit Sorge beobachtet – zu Recht, wie sich später herausstellen sollte.

Roya Hakakian.
Roya Hakakian.

© privat

Welche Hoffnungen hatten Mädchen und junge Frauen in diesen Tagen?

Wir waren fest davon überzeugt damals, dass ein demokratisches, ein gerechteres Zeitalter anbrechen würde. Und natürlich war diese Hoffnung auch mit der Vorstellung verbunden, dass das auch mit gleichen Rechten für Frauen für uns entstehen würde. Aber es war ein Traum, der schnell ausgeträumt war ...

Wie lange hat es gedauert?

Viele waren in dem Moment desillusioniert, in dem sie die Bilder von der Erstürmung der amerikanischen Botschaft in Teheran im Fernsehen gesehen haben. Bei mir hat es etwas länger gedauert: Ich ging damals auf eine jüdische Schule und eines Tages kam eine Frau mit Tschador (traditionelle islamische Verschleierung, Anmerkung d. Redaktion) in die Klasse und stellte sich als neue Rektorin vor. Wie sich zeigen sollte, sah sie ihre Aufgabe vor allem darin, uns zum Islam zu bekehren. Die Wochen und Monate verstrichen und irgendwann dämmerte es mir, dass diese Frau bleiben und mit ihr der Druck auf uns Juden steigen würde. Tatsächlich wurden wenig später die jüdischen Schulen in der Stadt vorübergehend geschlossen.

Kam es damals regelmäßig zu judenfeindlichen Übergriffen?
Vor Revolution habe zumindest ich das so nicht wahrgenommen, Antisemitismus kannte ich eigentlich nur aus Erzählungen. Mein Vater etwa verbrachte seine Kindheit im Städtchen Khonsar. Wenn es dort regnete, mussten Juden zu Hause bleiben weil Wassertropfen von ihnen hätten abperlen und muslimische Passanten „beschmutzen“ können – Juden galten als unrein. Ich selbst bin in Teheran aufgewachsen und habe gemeinsam mit Muslimen, Christen oder Bahai auf der Straße gespielt, die Religion spielte für uns keine Rolle. Mit der Revolution hat sich das geändert. Ich erinnere mich daran, dass ich einer muslimischen Freundin einmal ein Stück meines Apfels angeboten habe. Sie lehnte ab – plötzlich war nun auch ich unrein für sie geworden.

Noch mal kurz zurück zum Kopftuch: Die amerikanische Schachmeisterin Nazí Paikidze hat die Weltmeisterschaft im Iran boykottiert, weil sie sich verhüllen sollte. Was halten Sie davon?

Sie hat sich geweigert, nach den Regeln eines menschenfeindlichen Regimes zu spielen – und liegt damit uneingeschränkt richtig.

Mit der Islamischen Revolution wurde für Frauen im Iran das Kopftuch obligatorisch. Auch Autorin Hakakian (weiße Markierung) musste sich in ihrer Schulzeit verhüllen.
Mit der Islamischen Revolution wurde für Frauen im Iran das Kopftuch obligatorisch. Auch Autorin Hakakian (weiße Markierung) musste sich in ihrer Schulzeit verhüllen.

© privat

Das Argument, dass sie den iranischen Feministinnen damit einen Bärendienst erwiesen hat , lassen Sie nicht gelten?

Es gibt keine größere Plage für Menschenrechte in dieser Welt als den Relativismus. Frauen haben das Recht, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – ob es nun um ihren Körper oder ihre Kleidung geht. Punkt. Und dieses Recht gilt nicht nur für die Frauen in Berlin oder New York City, es gilt auch für die Frauen von Teheran.

Vor ein paar Jahren schrieben Sie von einem „Krieg“, den das Regime gegen die Frauen führt. Das klang drastisch.

Aber es entspricht der Wahrheit. Das iranische Regime hat im Lauf seines Bestehens gegen viele Feinde gekämpft: gegen den amerikanischen Imperialismus, die kurdische Minderheit im Land oder, wie es die Ayatollahs nennen, die „zionistische Weltverschwörung“. Mindestens ebenso kontinuierlich und intensiv wurde auch der Kampf gegen Frauen geführt. Wann immer das Regime in der Vergangenheit gewaltsam gegen die Bevölkerung vorging, waren es Frauen, die diese Gewalt zuerst zu spüren bekamen. Denken Sie zurück an die Präsidentschaftswahlen 2009: Als es im Anschluss zu Protesten kam, hat die Regierung zunächst einmal ihre Moralwächter auf die Straßen geschickt, um Frauen zu verprügeln, die sich ihrer Vorstellung nach nicht züchtig genug gekleidet hatten.

Welche Schlüsse sollte der Westen daraus ziehen?

Wir müssen vor allem endlich begreifen, dass es sich bei den Attacken auf Irans Frauen nicht einfach nur um die Begleiterscheinungen eines machthungrigen Regimes handelt. Misogynie ist vielmehr elementarer Bestandteil der Ideologie, der diese Menschen anhängen. Die Hoffnungen im Westen, man werde mit Zugeständnissen an die vermeintlichen Reformer auch die Menschenrechtslage verbessern, müssen deshalb zwangsläufig enttäuscht werden.

Die Unterscheidung zwischen Hardlinern und Reformern lehnen Sie ab?

Ich will nicht abstreiten, dass es unterschiedliche Auffassungen innerhalb des Regimes darüber gibt, wie bestimmte Aspekte des Korans ausgelegt werden. Auf dieses Spiel sollten wir aber nicht hereinfallen, denn eine wirkliche Opposition, die für die Gleichstellung der Geschlechter oder für Religionsfreiheit eintritt, wird nicht vom Regime toleriert. Sie musste in den Westen fliehen, wurde weggesperrt oder sogar ermordet.

Roya Hakakian wurde 1966 in Teheran geboren und floh 1986 gemeinsam mit ihrer Familie in die USA. Sie ist Mitgründerin des Iranischen Menschenrechts-Dokumentationszentrums und Autorin mehrerer Bücher.

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