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© dpa

Irland: Pflichtübung für Europa

Irland könnte diesmal dem EU-Vertrag zustimmen – sagen zumindest Umfragen. Dier Krise stärkt die Befürworter der EU-Reform.

An diesem Freitag entscheiden die irischen Wähler über das Schicksal des EU-Reformvertrages von Lissabon – zum zweiten Mal. 15 Monate nach dem klaren Nein in der einzigen Volksabstimmung unter den 27 EU-Ländern hat sich die Großwetterlage derart radikal verändert, dass die Befürworter optimistisch geworden sind.

„Ich werde persönlich dafür sorgen, dass meine Frau und meine Tochter am Freitag mit Ja stimmen.“ Mit diesen Worten stellt Telekom-Manager Gary Nolan sein Bierglas etwas zu laut auf den Tresen. „Denn wenn Irland erneut ablehnt, wandern wir alle aus.“ Solche Leidenschaft ist selten geworden im Vorfeld des zweiten irischen Referendums über den Lissabonner EU-Vertrag. Die Teilnahme am Referendum wird eher wie eine Pflichtübung wahrgenommen. „Da müssen wir durch“ – so lautet die kollektive Devise, als ob die klare Ablehnung am 12. Juni 2008 nur ein bedauerlicher Ausrutscher gewesen wäre.

Ziel des Lissabon-Vertrages ist es, die erweiterte EU mit einer Strukturreform handlungsfähiger zu machen. Damit das Abkommen in Kraft treten kann, muss es von allen 27 EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Würde das Referendum in Irland scheitern, wäre auch der gesamte Vertrag nicht mehr zu retten. Die Europäische Union müsste dann mit dem ungeliebten Nizza-Vertrag weitermachen, der bisherigen Vertragsgrundlage der Gemeinschaft.

Die beiden letzten großen Meinungsumfragen vor dem Referendum bilden eine überraschend klare Ausgangslage ab. Die „Sunday Business Post“ ermittelte, dass 55 Prozent der Befragten nun zustimmen wollen, nur 27 Prozent bleiben bei ihrem Nein. Die „Irish Times“ hatte kurz davor einen etwas knapperen, aber immer noch bequemen Vorsprung der Befürworter von 48:33 veröffentlicht.

Die Umfragen zeigen allerdings auch deutlich, dass die untersten Einkommensschichten, die Jungen und die Frauen, noch immer am deutlichsten dazu neigen, den EU-Reformvertrag abzulehnen. Es gibt Hinweise, dass diejenigen, die von der Wirtschaftskrise am härtesten betroffen sind, keinen Unterschied zwischen dem gesunkenen Lebensstandard und der anstehenden Europafrage machen.

Trotzdem werben die Befürworter des Lissabon-Vertrages diesmal unverfroren mit der fortdauernden Zugehörigkeit zur Europäischen Union. „Ja zur Erholung, Ja zu Europa“ lautet die unmissverständliche Botschaft der Plakate. Der US-Multi Intel hat eigene Plakate aufgehängt, die Fluglinie Ryanair wirbt mit noch billigeren Flügen um ein Ja. Dem haben die Gegner diesmal viel weniger entgegenzusetzen. Der Unternehmer Declan Ganley hat sich zwar im letzten Moment doch noch unter die Gegner gemischt, aber die Kampagne wurde von reaktionären Katholiken und linken Splittergruppen bestritten. Ihre – großteils irreführenden – Hauptargumente vom letzten Jahr (Abtreibung, Militärpflicht, Körperschaftssteuer und die Angst vor Lohndumping) sind durch die zusätzlichen Garantien der EU weitgehend entschärft worden. Doch niemand bestreitet, dass die Iren an diesem Freitag über exakt denselben Vertrag abstimmen wie vor 15 Monaten. Materiell hat sich nur geändert, dass es auch weiterhin einen irischen EU-Kommissar in Brüssel geben wird. Trotzdem scheinen die Stimmbürger gewillt, ihren Stolz diesmal zu vergessen und über den Mangel an demokratischer Hygiene hinwegzuschauen. Es bleibt ihnen wohl gar keine andere Wahl.

Martin Alioth[Dublin]

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