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Gegen Moscheen marschieren Gruppen wie Pro Köln – hier beim Richtfest der Kölner Ditib-Moschee im Februar, beobachtet von türkischen Frauen. Was als fremd gilt und ausgegrenzt wird, kann sich jedoch ändern. Foto: Knippertz/dapd

© dapd

Islam in Deutschland: "Als Lügner galten auch Katholiken"

Die ganze Nation diskutiert über die Rolle des Islam in Deutschland. Woher kommt diese Skepsis der Deutschen gegenüber einer ganzen Religionsgemeinschaft? Medien- und Islamexpertin Sabine Schiffer erklärt, wie Fremdheit und Angst entstehen und sich wandeln.

Der Islam als Problem – ein Dauerthema. Erst jetzt wird stärker debattiert, dass die Abwehrmechanismen so neu nicht sind. Das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung wurde noch heftig kritisiert, als es Islamophobie und Antisemitismus in Beziehung setzte. Nun ist dies Thema von Stiftungen und politischen Akademien. Wieso?

Es gab von Anfang an einen Unterschied zwischen der wissenschaftlichen Diskussion und öffentlicher Agitation von interessierten Kreisen. Vielleicht hat die aufgeregte Debatte dazu beigetragen, dass man sich mit der Frage auseinandersetzt. Aus wissenschaftlicher Sicht kann es sowieso keine Vergleichstabus geben: Wie soll man sonst auch feststellen, wenn etwas unvergleichbar ist?

Was ist das Gemeinsame von Antisemitismus und Islamophobie?

Es handelt sich beide Male um ausgrenzende Diskurse. Die Krux liegt in der Verallgemeinerung von Fakten und Fiktionen über Juden und Muslime. Die Zuweisung bestimmter Beobachtungen auf die ganze Gruppe führt bis hin zu ihrer Dämonisierung, welche oftmals durch Metaphern – „Parasiten“, „Krebsgeschwür“ – gestützt wird. Derlei Bedrohungskonzepte transportieren eine Logik, die eine Selbstverteidigung nahelegt, ein „wehrt euch“, und übersehen lassen, dass bestimmte Maßnahmen zum angeblichen Schutze der sogenannten Mehrheitsgesellschaft eigentlich nicht Verteidigung, sondern Ausgrenzung sind.

Dass der antisemitische Misstrauensdiskurs um 1880 und der antimuslimische heute zwei religiös definierte Minderheiten treffen, ist aber eher Zufall. Man forderte damals beispielsweise die Übersetzung jüdischer Predigten und Lehrbücher, stellte die Vertrauenswürdigkeit jüdischer Lehrer an staatlichen Schulen infrage und machte Schächten und Speisegesetze zum Nonplusultra einer „abartigen“ Andersartigkeit. Dabei griff man zurück auf den Talmud und andere jüdische Schriften, um zu belegen, was man den Juden unterstellte. Das erinnert an aktuelle „Koranexegesen“, die auch dazu herhalten müssen, eine muslimische Weltverschwörung zu behaupten.

Übrigens, ein ähnlicher Misstrauensdiskurs wurde auch gegen die Katholiken nach der deutschen Einheit 1871 geführt. Ihnen warf man vor, dem Vatikan treuer als dem Staat zu sein und auch Lüge wurde ihnen wie Juden und Muslimen unterstellt: Weil es für sie die Beichte gebe, müssten sie es ja mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.

Islamexpertin Sabine Schiffer
Islamexpertin Sabine Schiffer

©  IMV

Sie sagen, Antisemitismus sagt nichts über die Juden, aber viel über die Mehrheitsgesellschaft. Was meinen Sie?

Ich halte das für eine der wesentlichen Errungenschaften der Antisemitismusforschung – aber auch insgesamt der Rassismusforschung. Mit Verweis auf Fakten und Fiktionen, die auf markierte Gruppen projiziert werden – und im Antisemitismus in beispielloser Dichte und Kontinuität – hat man immer versucht, Diskriminierung zu rechtfertigen.

Natürlich gab es Juden, die dem jeweiligen Klischee entsprachen, und es gab die Forderung, dass doch „die Juden“ sich nur entsprechend zu benehmen hätten, dann würde der Antisemitismus schon aufhören. Das ist Quatsch. Die Taten Einzelner rechtfertigen niemals ein Urteil über eine ganze Gruppe. Und darum hilft es auch nicht, über die Differenziertheit der Gruppe aufzuklären. Damit folgt man dem Blick der Rassisten, man schaut sich die Eigenarten der Stigmatisierten an.

Gerade die Widersprüchlichkeit des Ressentiments zeigt aber, dass das nicht ein Problem der Juden war oder ist: Während man ihnen den Kapitalismus vorwarf – Stichwort Rothschild – wurden sie gleichzeitig für den Kommunismus verantwortlich gemacht – Stichwort Marx. Während sie in Ungarn als „germanisch“ diffamiert wurden, wurden sie in Deutschland als „asiatisch“ beschimpft. Derlei Projektionen liegen in der Verantwortung des Mächtigeren und nicht beim Objekt seines Hasses.

Islamkritiker wie Feinde reklamieren eine aus ihrer Sicht klare Faktenlage für sich: Man verweist etwa auf Gewalttäter, die sich auf den Islam berufen, die Pflicht zum Heiligen Krieg, auf die Taqia, die den Muslimen Verstellung und Lüge auferlege - was auch die Integration gutbürgerlicher Muslime wie Fassade erscheinen lässt - oder gewalttätige Koransuren. Was entgegnen Sie?

Die Fakten sind weder zu leugnen noch gutzuheißen - aber eben auch nicht zu verallgemeinern. Das ist alles. Und den Lügenvorwurf Taqiya erkennen die Historiker aus dem antisemitischen wie dem antikatholischen Diskurs wieder. Das war ja genau der Trick und ist es heute wieder, wie man Widersprüche verhindert. Durch so eine Unterstellung kann man jedes Verhalten des anderen abwerten und es macht irrelevant, wie er sich verhält: Demnach wäre der echte Moslem der schlechte Moslem und wenn er was anderes behauptet, dann belügt er uns eben. Damit ist das Konstrukt kohärent, vermeintlich widerspruchslos.

Sarrazin hat das meistverkaufte deutsche Buch verfasst, seine Lesungen finden nicht in Eckkaschemmen oder Sporthallen, sondern an Orten bildungsbürgerlicher Geselligkeit wie dem Literaturhaus München statt. Hat sich die Mittelschicht radikalisiert?

Sarrazin kann eine Stimmung abschöpfen, die über Jahrzehnte aufgebaut wurde, wie ich in meiner Doktorarbeit aufzeige. Auch die aktuelle Entwicklung wird verständlicher, wenn man sie mit den letzten 20 Jahren des 19. Jahrhunderts vergleicht. Neben dem angesehenen Professor von Treitschke gab es den Hofprediger Stöcker sowie eine Unterschriftenaktion von Bildungsbürgern, um vor den Juden zu warnen und teilweise wurde dafür plädiert ihre Bürgerrechte wieder einzuschränken. Das war eine wichtige Entgrenzung, gegen die auch kein "Abwehrverein gegen den Antisemitismus" mehr viel ausrichten konnte. Obwohl viele Behauptungen wiederlegt wurden, so konnten die Antisemiten zu jeder Zeit wieder auf die Klassiker des Antisemitismus zurück greifen. Das ist heute nicht anders, wenn Sarrazin & Co. ein Sammelsurium an Fakten, falschen Zuweisungen und Übertreibungen vorlegt, womit der die Probleme der heutigen Zeit auf markierte Gruppen projiziert. Die haben nicht die Macht, viel zu ändern. Von den Entscheidungsträgern, zu denen Sarrazin selber gehört, wird abgelenkt.

Hat der Antiislamismus in Deutschland  - und vielleicht auch anderswo - den sozial nicht mehr akzeptierten Antisemitismus ersetzt?

Nur teilweise. Dafür sprechen etwa die Diskussionen in Kreisen der politischen Rechten, die erkannt haben, dass sie mit Antisemitismus nicht, mit Antimuslimismus jedoch durchaus wählbar wären. Aber es wäre falsch zu glauben, der Antisemitismus wäre nun behoben. Der existiert weiterhin und auch nicht nur bei Muslimen, wie es einige gerne auslagern würden.

Braucht vielleicht jede Gesellschaft ihre Feindbilder oder sehen Sie Chancen, aus dieser Falle zu kommen?

Tja, anscheinend kommen wir ohne nicht aus - entgegen dem, was wir uns an Aufklärung einst versprachen. Dafür steht ja gerade der Antisemitismus als ernüchterndes Beispiel: nachdem die christlich-religiöse Begründung für Benachteiligungen mit der Aufklärung in Frage gestellt wurde, griff man auf wissenschaftlich verbrämte Bewertungen zurück. Der Begriff "Antisemitismus" ist ein Produkt dieser Zeit, streicht das alte Ressentiment mit neuer Farbe an und steht für Kontinuität. Und aktuell kann man ja schon ein antiasiatisches Feindbild aufscheinen sehen. Vielleicht ersetzt das einmal das antiislamische, bevor es zu schlimmeren Verwerfungen kommt. Aber Prognosen lassen sich auf Grund historischer Vergleiche nicht machen - nur Potentiale aufzeigen.

Das Gespräch führte Andrea Dernbach

Sabine Schiffer (44) leitet das von ihr gegründete „Institut für Medienverantwortung“ in Nürnberg. Ihr Buch „Antisemitismus und Islamophobie. Ein Vergleich“ erschien 2009.

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