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Politik: Islamisch-demokratisch

Der Verfassungsentwurf folgt dem Koran – dennoch könnte Afghanistan künftig regiert werden wie die USA

Von Ulrike Scheffer

und Elke Windisch

Der Konkurrent forderte Afghanistans Präsidenten schon mal zum Rücktritt auf. „Wenn Hamid Karsai wieder antreten will, sollte er sein Amt vier Monate vor den Wahlen im kommenden Jahr niederlegen, damit Chancengleichheit besteht“, sagte Sayed Ishaq Gailani dem Tagesspiegel. Der Führer einer gemäßigt islamischen Partei will ebenfalls für das Präsidentenamt kandidieren. Karsai hatte am Montag gemeinsam mit dem „Vater der Nation“, Ex-König Sahir Schah, den Entwurf für eine neue afghanische Verfassung vorgestellt, der im Dezember von einer Ratsversammlung der Stämme (Loya Dschirga) verabschiedet werden soll. Damit wären die Voraussetzungen geschaffen, um die im Petersberger Friedensabkommen vereinbarten Wahlen vorzubereiten.

Die 35-köpfige Verfassungskommission brauchte länger als erwartet für den Entwurf. Grund der Verzögerung: Substanzielle Veränderungen, auf die sowohl UN-Beobachter als auch Menschenrechtler und Frauengruppen gedrängt hatten. Im Westen wurde befürchtet, dass die Scharia, das islamische Recht, zur Grundlage der Verfassung erklärt werden könnte. Das Wort Scharia selbst taucht im Entwurf nun zwar nicht auf, doch Gesetze, so heißt es in dem Text, dürften nicht gegen den Islam verstoßen. Diese Formulierung eröffnet dem obersten Gericht einen großen Interpretationsspielraum – und damit letztlich der konservativen Geistlichkeit Afghanistans. Denn auch die weltlichen Gerichte werden von Richtern dominiert, die an Koranschulen ausgebildet wurden.

Dennoch: Der Optimismus überwiegt in Afghanistan. Die Verfassung, sei ein „wichtiger Schritt bei der Herausbildung einer Nation und einer vom Gesetz geleiteten Gesellschaft", sagte Karsai-Sprecher Jawed Ludin nach der Zeremonie. Beobachter sehen in dem Entwurf einen Kompromiss zwischen lokalen Traditionen und internationalen demokratischen Standards.

Beim Staatsmodell standen die USA Pate. Die Regierung wird direkt dem Präsidenten unterstellt, der durch ein Zwei-Kammer-Parlament kontrolliert wird. Ein Sechstel der Sitze im Oberhaus ist für Frauen reserviert. Die Justiz, die Zentralbank und auch die Menschenrechtskommission sollen unabhängig sein. Folter und Zwangsarbeit sind ebenso verboten wie die Bildung ethnisch oder regional ausgerichteter Parteien; Presse- und Meinungsfreiheit werden garantiert. Wer im Bürgerkrieg Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangenen hat, soll künftig in Afghanistan kein öffentliches Amt bekleiden dürfen.

Die Frauen können vor allem auf einen Satz bauen: Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich, heißt es im Verfassungsentwurf. Das bedeutet, dass Frauen formal gleiche Rechte wie Männer haben. Faktisch werden aber wohl auch künftig ihre Ehemänner oder Väter das letzte Wort in den Familien haben. Und auch das islamische Erb- und Scheidungsrecht benachteiligt Frauen. Frauenrechtlerin Schukria Bariksai, selbst Mitglied der Verfassungskommission, fürchtet zudem, dass der Verfassungsentwurf im Dezember bei der Loya Dschirga weiter an demokratischer Substanz verlieren könnte. Menschenrechtsgruppen, die dort weitere Rechte einklagen wollen, werden nach Informationen der Organisation Human Rights Watch schon jetzt massiv bedroht.

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