zum Hauptinhalt
In Benghazi gehen die Menschen auf die Straße für einen Militärschlag gegen den IS in Libyen.

© AFP

"Islamischer Staat" in Libyen: Ägyptische Luftangriffe gefährden politische Lösung

Vom Chaos in Libyen geht eine wachsende Bedrohung für die Nachbarstaaten in Nordafrika und Südeuropa aus. Doch das ägyptische Eingreifen trägt nicht zur Stabilisierung bei. Ein Gastkommentar.

Nach der mutmaßlichen Ermordung von 21 ägyptischen Christen hat Ägyptens Luftwaffe Angriffe auf die libysche Stadt Derna geflogen. Erklärtes Ziel waren Einrichtungen des "Islamischen Staates" in Libyen, der für die Morde an den ägyptischen Gastarbeitern die Verantwortung übernommen hatte. Die Militäroperation erfolgte in enger Abstimmung mit den libyschen Militäreinheiten um General Chalifa Haftar, die weite Teile im Osten des Landes kontrollieren. Ob und wie erfolgreich die Luftschläge waren, lässt sich mangels unabhängiger Quellen nicht nachvollziehen. Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge ist bisher nur bekannt, dass sechs Zivilisten den Angriffen zum Opfer fielen, darunter drei Kinder.

Während der ägyptische Präsident Abdel Fatah al Sisi vorgibt, durch die militärische Intervention in Libyen Gefahr von Ägypten abwenden und das Blut der ermordeten Ägypter sühnen zu wollen, dürften die tatsächliche Motive woanders liegen. Zum einen geht es Sisi und der ägyptischen Militärführung augenscheinlich darum, der eigenen Bevölkerung gegenüber Stärke zu demonstrieren. Das Sisi-Regime ist noch immer nicht konsolidiert und das Land politisch tief gespalten. Zudem ist die wirtschaftliche und soziale Lage seit dem Militärputsch im Sommer 2013 keineswegs besser geworden. Der selbsterklärte »Krieg gegen den islamistischen Terror« innerhalb wie außerhalb Ägyptens ist daher Mittel zum Zweck, um von den eigentlichen Problemen Ägyptens abzulenken. Zudem kann hierdurch der weitere Ausbau des Polizeistaates gerechtfertigt werden – nicht nur gegenüber der eigenen Bevölkerung, sondern auch gegenüber den westlichen Verbündeten.

250.000 Ägypter halten sich noch in Libyen auf

Zum anderen soll durch das direkte Eingreifen in den libyschen Bürgerkrieg General Haftar unterstützt werden. Bereits seit Monaten versucht die ägyptische Regierung, Haftar als Statthalter ägyptischer Interessen in Libyen aufzubauen. Haftars Terrorismusbegriff ist ähnlich flexibel wie jener Sisis und schließt nicht nur Jihadisten wie den IS, sondern auch die Muslimbrüder und Haftars lokale politische Gegner wie die Milizen der Stadt Misrata ein. Damit hat Haftar maßgeblich zur Polarisierung der politischen Landschaft Libyens in zwei gegnerische Lager und zur institutionellen Spaltung in zwei rivalisierende Regierungen beigetragen. Haftars Versuch, die Machtübernahme Sisis in Libyen nachzuahmen, ist indes an der Zersplitterung der libyschen Armee gescheitert.

Mit Blick auf die bis zu 250.000 Ägypter, die sich noch in Libyen aufhalten, sind die Luftschläge unverantwortlich. Mangels wirtschaftlicher Perspektiven im eigenen Land hatten sie versucht, im Nachbarland Arbeit, insbesondere im Bausektor, zu finden. Präsident Sisi hat zwar mittlerweile eine großangelegte Evakuierungsaktion angeordnet, diese ist jedoch offensichtlich noch nicht einmal angelaufen. Durch die Luftangriffe dürfte die Gefahr für die ägyptischen Gastarbeiter deutlich gestiegen sein, Ziel von Entführungen und Anschlägen des Islamischen Staates und anderer Extremisten zu werden.

Ägyptens Vorgehen konterkariert die Vermittlungsbemühen der Vereinten Nationen

Vor allem aber untergräbt das ägyptische Vorgehen die von den Vereinten Nationen geführten Vermittlungsbemühungen zwischen den zwei gegnerischen Lagern in Libyen. Ägypten unterstützt offen eine Seite im libyschen Bürgerkrieg, nämlich jene Haftars und des Rumpfparlaments in Tobruk. Haftar und seine Verbündeten brüsten sich regelmäßig mit der militärischen Hilfe, die sie aus Ägypten erhalten. Jegliches Eingreifen Ägyptens dürfte daher im Interesse Haftars und der Führung in Tobruk sein – und ägyptische Luftschläge werden kaum auf den IS begrenzt bleiben, sondern auch andere Gegner Haftars ins Visier nehmen.

Internationaler Militäreinsatz in Libyen?

Mit ägyptischer Unterstützung haben Haftar und das Parlament in Tobruk keinen Grund, Kompromisse einzugehen. Auf der Gegenseite spielt das ägyptische Vorgehen den Hardlinern in die Hände: Haftars Gegner schließen die Reihen, und die ägyptischen Angriffe liefern einen Vorwand für eine erneute Eskalation. Damit werden die Erfolge der VN-Vermittlungsbemühungen zunichte gemacht, verhandlungsbereite Kräfte von Extremisten zu lösen.

Die Präsenz des IS und anderer Dschihadisten in Libyen stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Nachbarstaaten und Europa dar. Doch effektive Terrorbekämpfung in Libyen ist nur durch die Bildung einer Einheitsregierung möglich, wie sie die VN anstreben. Es gilt, die gegenwärtige Polarisierung zu überwinden und eine Koalition von Kräften zu bilden, die Extremisten auf beiden Seiten isolieren. In den vergangenen Wochen wurden die ersten Schritte in diese Richtung getan, doch droht nun ein Rückschritt.

Denn Ägypten fordert eine internationale Militärkampagne gegen den IS in Libyen. Ein Aufspringen westlicher Mächte auf diese Initiative wäre ein fataler Fehler. Stattdessen sollten sie dem zunehmenden Eingreifen von Regionalstaaten in den libyschen Bürgerkrieg entgegentreten. Während Ägypten Haftar unterstützt, erhält die Gegenseite angeblich Hilfe aus Katar und dem Sudan, auch in Form von Waffenlieferungen. Die Durchsetzung des VN-Waffenembargos gegen Libyen ist ein überfälliger Schritt, um eine weitere Eskalation des Konflikts, auch über Libyen hinaus, zu verhindern – und die Chancen für eine politische Lösung zu verbessern.

Stephan Roll  forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Ägypten. Wolfram Lacher forscht, ebenfalls an der SWP, zu Libyen. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik »Kurz gesagt«.

Stephan Roll, Wolfram Lacher

Zur Startseite