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Anhänger von "Pegida" in Dresden

© dpa

Islamisierungsängste und Flüchtlinge in Dresden: "Pegida wird nicht schnell verschwinden"

Leipzig kennt Multikulti, Dresden ist traditionell konservativ - Frank Richter von der Landeszentrale für politische Bildung erklärt, warum die Anti-Islam-Bewegung Pegida in der sächsischen Landeshauptstadt so stark ist.

Von Matthias Meisner

Herr Richter, sind Sie noch stolz auf Dresden?

Stolz ist eine Kategorie, die in meinem Leben ganz selten vorkommt. Ich kann damit wenig anfangen. Ich fühle mich in Dresden grundsätzlich genauso wohl wie vorher. Aber die Sorgen wachsen seit einigen Wochen.

Ein junger Asylbewerber wird erstochen, Anwohner widersetzen sich einer geplanten Flüchtlingsherberge, Pegida wächst und wächst. Was ist los in und mit der Stadt?

In Situationen, wo viele Probleme zusammenkommen, sollte man versuchen, nüchtern zu urteilen – so schwer wie das auch fällt. Die Dresdner sollten die einzelnen Problemlagen präzise unterscheiden. Wenn wir jetzt in eine städtisch-kollektive Hysterie verfallen, bringt das nichts.

Der erstochene Asylbewerber Khaled I. macht international Schlagzeilen. Was hat die Nachricht über seinen Tod bei Ihnen ausgelöst?

Ich bin schockiert. Wenn sich heraus stellen sollte, dass die Tötung einen fremdenfeindlichen oder rassistischen Hintergrund hat, könnte dies die Entwicklung dramatisieren. Aber ich bin kein Kriminalist und werde mich hüten, vorschnell Schuldzuweisungen vorzunehmen.

Wie konnte Pegida ausgerechnet in Dresden so stark werden?

Pegida versammelt Menschen mit unterschiedlichen Motiven, die sehr verschiedene Probleme mit sich herumtragen. Da hat sich vieles angestaut. Vieles ist lange Zeit unter der Oberfläche gewachsen und jetzt an den Tag getreten. Was lange gewachsen ist und sich als derart stark erweist, wird nicht schnell verschwinden.

Wie argumentiert Pegida?

Die allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik, auch mit den Medien wird von Pegida-Anhängern am häufigsten genannt. Viele sagen: Die Politik geht an uns vorüber. Oder: Es wird nicht mit uns geredet, man bezieht uns nicht ein. Bei vielen sehe ich angestauten Frust zum Beispiel über das Verhalten der Behörden, wenn es um die Praxis der Errichtung neue Asylbewerberheime geht. Dazu kommt das Gefälle, das sich in Sachsen entwickelt hat zwischen den urbanen Zentren Dresden und Leipzig einerseits und dem ländlichen Raum andererseits.

In Dresden wächst Pegida. Am vergangenen Montag in Leipzig aber waren 30.000 Menschen gegen Legida auf der Straße, deutlich mehr als deren Anhänger. Warum sind diese beide sächsischen Großstädte so unterschiedlich?

Die beiden Städte haben eine politisch sehr unterschiedliche Grundierung. Dresden ist ein traditionell konservatives Gemeinwesen, schon seit Jahrhunderten. Dresden eignet sich für Pegida viel besser als Leipzig. Leipzig ist eine Messestadt, die Multikulti kennt – wenn auch nicht im selben Maß wie in Westdeutschland, aber doch immerhin. Das spiegelt sich in der unterschiedlichen Art wider, wie man mit  Pegida beziehungsweise Legida umgeht.

Der Dresdner Grünen-Politiker Johannes Lichdi sagt, Pegida mache Dresden zu einem bornierten und engherzigen Provinznest. Können Sie das unterschreiben?

Einfache und pauschalisierende Kommentare sind falsch und helfen nicht. Ich bin gelegentlich bei den Pegida-Demonstrationen mitgegangen und habe mit vielen Leuten gesprochen. Ich habe festgestellt, dass viele Menschen unterwegs sind, die nicht in erster Linie das Image der Stadt im Blick haben, sondern einfach ihre Sorgen auf die Straße bringen. Dass es eine politische Instrumentalisierung gibt, dass dort auch Hetzreden gehalten wurden, dass eine Tendenz ins Rechtsradikale erkennbar ist, steht außer Frage. Und das ist natürlich mit einem Imageschaden für Dresden verbunden.

Sind die Argumente der Pegida-Anhänger berechtigt?

Ob diese Argumente berechtigt sind oder nicht, darüber kann man trefflich streiten. In der Situation, in der wir uns befinden, ist das eine relativ unwichtige Frage. Weil: Sie sind einfach da, und sie sind durch die Proteste massenwirksam. Wir müssen diese Argumentationen ernst nehmen. Wenn wir das nicht machen, wird sich ein großer Teil der Bevölkerung von unserem politischen System abwenden. Das können wir nicht wollen. Wir müssen den Dialog suchen. Zumal die Menschen etwas tun, was in der Demokratie genau so vorgesehen ist: Sie machen von einem Grundrecht, sich in der Öffentlichkeit zu versammeln, Gebrauch. Das gilt es zu respektieren.

Frank Richter
Frank Richter

© Sebastian Kahnert/dpa

Sie haben früh versucht, einen Dialog in Gang zu bringen. Pegida hat stets abgesagt. Hat es überhaupt noch Sinn, mit den Anführern um ein Gespräch, provokant gesagt, zu betteln?

Wichtig war und ist mir das Signal, dass die Landeszentrale für politische Bildung bereit ist, den Diskurs zu organisieren. Viele Anhänger und Gegner von Pegida haben sich an uns gewandt, per Brief, per E-Mail und auf Facebook und haben mitgeteilt, sie würden gerne diskutieren. Es hat bereits zwei öffentlichen Runden gegeben, beide überfüllt.

Die Landesregierung hat parallel eingeladen zu Gesprächsrunden mit den Anhängern. Ein guter Plan?

Dass man zu Dialogveranstaltungen einlädt, begrüße ich. Das ist ja genau der Bedarf, den wir feststellen.

Pegida hat mitgeteilt, sie würden mit Günther Jauch über eine Teilnahme an dessen Talkrunde verhandeln. Sollte die ARD sich darauf einlassen?

Wenn wir in der Öffentlichkeit das Geschehen in diesem Land erklären wollen, kann ich überhaupt nicht erkennen, was gegen eine Teilnahme von Pegida-Vertretern an einer solchen Sendung sprechen sollte. Pegida ist eine relevante Gruppierung, und wir sollten mit ihr den öffentlichen und fairen Diskurs suchen.

Sie sagen, sie sind kein Politiker. Aber Sie beobachten die Landespolitik natürlich sehr genau. Hat sich die CDU, die in Sachsen eine zentrale Rolle spielt, klar genug gegen Pegida positioniert?

Ja, ich beobachte die Politik und lebe ja auch in diesem Land. Aber ich gebe keine Kommentare ab und zensiere nicht die Politik. Die Landeszentrale ist eine vom Steuerzahler finanzierte, staatliche und  überparteiliche Einrichtung. Die Landeszentrale ist nicht der Wächterrat Sachsens.

Frank Richter (54) ist evangelischer Theologe. Während der friedlichen Revolution in der DDR war er in Dresden Gründer der "Gruppe der 20". Seit 2009 ist er Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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