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Langer

© dpa

Israel: "Die Dinge beim Namen nennen"

Felicia Langer wehrt sich gegen Kritik und verteidigt ihr Engagement für eine andere Politik in Israel.

Berlin - Sie ist es gewöhnt, auszuteilen und einzustecken. Die Anwältin und Autorin Felicia Langer ist kompromisslos, ihre harsche Kritik an der israelischen Palästinenserpolitik hat immer polarisiert. Diplomatie ist ihre Sache nicht. Doch die Reaktionen in Deutschland auf die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes haben die 79-jährige Juristin, die seit 1990 in Tübingen lebt, überrascht. „So verletzende Anschuldigungen und Verleumdungen habe ich selten erlebt“, sagt Langer. In Israel, wo sie als erste israelische Anwältin nach dem Krieg von 1967 palästinensische Häftlinge verteidigt hat, war sie zwar auch nicht unumstritten. Aber die Kritik sei nicht „so vehement und schrecklich“ gewesen. Besonders trifft sie der Vorwurf, sie habe Israel mit Nazi-Deutschland verglichen. Das habe sie nie gesagt, und der Vergleich sei natürlich falsch. Generell bedauert sie in Deutschland, dass Kritik an Israel oft als „Antisemitismus“ hingestellt werde. „Dieser Missbrauch des Antisemitismus ist tragisch“, findet Langer.

Als Israel-Hasserin sieht sich Langer nicht: „Ich fühle mich als Israelin, ich habe dort 40 Jahre gelebt und habe eine kolossale Bindung an das Land.“ Dennoch wanderte sie 1990 nach Deutschland aus, wo ihr Sohn und seine Familie leben. Sie kehrte dem „gelobten Land“ lautstark und „aus Protest“ den Rücken. Sie sah nach eigenen Angaben als Anwältin keine Möglichkeit mehr, Palästinensern im israelischen Justizsystem zu ihrem Recht zu verhelfen. Sie übernahm Lehraufträge an den Universitäten Bremen und Kassel, hält Vorträge über Menschenrechte und Rassismus und ist Schirmherrin des Tübinger Vereins zur Unterstützung palästinensischer Flüchtlingskinder im Libanon, der unter anderem gewaltfreie Erziehung fördert. Seit einigen Monaten besitzt sie auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Ihr erster Kontakt mit den Deutschen war ein anderer. Als sie neun Jahre alt war, floh ihre Familie vor der deutschen Wehrmacht aus Polen in die Sowjetunion, wo ihr Vater im Gefängnis landete. 1950 wanderte sie zusammen mit ihrem Mann, der selbst in fünf Konzentrationslagern gesessen hatte und seine gesamte Familie im Holocaust verlor, nach Israel aus. „Mein Mann und ich haben eine Lehre aus der Erfahrung des Holocaust gezogen: Menschlichkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte“, sagt Langer. Daher habe sie die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am 16. Juli so „wahnsinnig gefreut“. Ihr Mann, mit dem sie seit 60 Jahren verheiratet ist, hält in Schulen Vorträge über seine Holocaust-Erfahrung. Ihr gemeinsamer Sohn hat eine Band, die jüdische Klezmermusik spielt.

In Israel wurde die junge Frau Mitglied der kommunistischen Partei. Kritiker werfen ihr vor, dass sie sich nicht mit den Gräueltaten des Stalinismus auseinandergesetzt habe. „Ich stehe zu meiner Vergangenheit, aber ich bin seit 20 Jahren in keiner Partei mehr“, sagt Langer. Und sie will nie wieder einer Partei beitreten. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen.

Doch beim Thema Israel und Palästinenser lässt sie nicht locker. „Ich stehe dazu, dass Israel in den besetzten Gebieten Apartheidspolitik betreibt.“ Im Gazakrieg seien Kriegsverbrechen geschehen, wie mehrere internationale Organisationen in ihren Berichten belegten. Was nicht stimme: Sie habe niemals einen Palästinenser als Anwältin verteidigt, der einen israelischen Zivilisten verletzt oder getötet habe. Auch die Angriffe durch Kassam-Raketen auf Israel habe sie kritisiert. Aber sie sieht in der Besatzung den „Inbegriff von Gewalt“, der Gegengewalt erzeugt.

Wenn sie immer wieder und ohne Rücksichtnahme auf Befindlichkeiten von Teilen der israelischen Gesellschaft diese Politik anprangert, „dann tue ich das, weil dies nicht nur für die Palästinenser eine Tragödie ist, sondern auch für Israel“. Es könne keine Sicherheit geben, solange man anderen ihre Rechte vorenthalte, den Gazastreifen total abriegele, gezielt töte. Und eine Zwei-Staaten-Lösung sei nun einmal nicht machbar, ohne dass Israel die besetzten Gebiete und die Siedlungen räume. „Man muss die Dinge beim Namen nennen“, findet Langer. Nein, eine Israel-Hasserin sei sie nicht. „Wir sind das andere Gesicht Israels.“

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