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Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sieht sich auf den Spuren von Theodor Herzl.

© Ronen Zvulun/REUTERS

Israel: Die israelische Demokratie wird verdrängt

Das neue Grundgesetz diskriminiert die arabischen Israelis und ist auch der Abschied von der Zwei-Staaten-Lösung. Ein Gastbeitrag.

Benjamin Netanjahu feiert es als „neues Grundgesetz Israels“ und „einen entscheidenden Moment in der Geschichte des Zionismus“. Er behauptet sogar, mit diesem Gesetz gehe Theodor Herzls 120 Jahre alter Traum vom Judenstaat in Erfüllung. Vermutlich dreht sich Herzl im Grabe um, denn die Benachteiligung der nicht-jüdischen Bevölkerung in Palästina hat er immer ausdrücklich abgelehnt. In Herzls Sinne war die Unabhängigkeitserklärung Israels im Jahr 1948, in der es heißt: „Der Staat Israel wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen.“

70 Jahre nach der Staatsgründung proklamiert das von der Knesset verabschiedete Grundgesetz: „Der Staat Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes.“ Das neue Gesetz, von einer nationalistischen Mehrheit im Parlament verabschiedet, ist also eine Absage an die universellen Werte, die der Vision Herzls und der Unabhängigkeitserklärung zugrunde lagen. Es ist ein Bekenntnis zu einem ethnozentrischen Nationalismus, der an die nationalistischen Tendenzen in Europa anknüpft. Orban und Kaczynski lassen grüßen.

Die Nationalisten haben sich in Israel durchgesetzt

Liberal gesinnte Menschen im Ausland fragen sich: Was hat Israels Regierung ausgerechnet jetzt veranlasst, dieses provokative Grundgesetz in die Welt zu setzen und sich somit von den universellen Werten des klassischen Zionismus zu verabschieden?

Die Antwort lautet: 50 Jahre nach dem Sechs-Tage-Krieg und 40 Jahre nach dem Aufstieg der nationalistischen Parteien an die Macht vollendet sich der Prozess der nationalistischen Radikalisierung der jüdischen Bevölkerung Israels. Fünf Jahrzehnte reichten, um den Glauben an das exklusive Recht der Juden in Israel auf nationale Selbstbestimmung und an die Selbstverständlichkeit des „jüdischen Charakter“ des Staates zu verankern. Der Wettbewerb zwischen den nationalistischen Regierungsparteien, durch die im kommenden Jahr anstehenden Wahlen noch intensiviert, lässt alle Hemmungen verschwinden.

Die Formulierung „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ hat Netanjahu bislang benutzt, um Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zu blockieren. Statt auf der Basis der Anerkennung Israels durch die PLO im Oslo-Abkommen von 1993 weiterzuverhandeln, macht Netanjahu die Anerkennung Israels als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ zur Vorbedingung für Friedensgespräche. Das neue Gesetz geht aber noch viel weiter, indem es die Gleichberechtigung der in Israel lebenden Araber in Frage stellt: Bereits bestehende Gesetze und Bestimmungen über die Staatssymbole (Fahne, Hymne, Wappen, Nationalfeiertag, Hauptstadt) wurden in dieses Gesetz aufgenommen, um auf eine kondensierte Art den jüdischen Charakter des Staates zu unterstreichen. Es kommen aber auch neue Bestimmungen hinzu: Arabisch verliert seinen Status als Amtssprache. Als offizieller Kalender gelten der hebräische und der gregorianische Kalender, aber nicht mehr der muslimische. Und nur die jüdische Besiedlung des Landes und die jüdische Einwanderung gelten laut Gesetz als Grundwerte. Noch einschneidender als die Überbetonung des jüdischen Charakters des Staates ist die Verdrängung der arabischen Bevölkerung, ihrer Gleichberechtigung und des Begriffs Demokratie aus dem Wortlaut des Gesetzes.

Viele Politiker versuchen die Bedeutung des beschämenden Gesetzes zu verharmlosen – es habe nur einen deklaratorischen, keinen praktischen Wert.

Auf Worte folgen bekanntlich Taten

Diesbezüglich muss man sehr gut aufpassen, weil auf Worte bekanntlich Taten folgen. Das Gesetz beginnt mit dem Satz: „Das Land Israel ist die historische Heimat des jüdischen Volkes, in dem der Staat Israel entstand.“ Von einem anderen Volk im Lande oder von Grenzen ist im Gesetz nirgendwo die Rede. So öffnet sich ein Schlupfloch für die Annexion des Westjordanlandes (über das im Gesetz erwähnte Ost-Jerusalem hinaus), für den Abschied von der Zwei-Staaten-Lösung sowie auch dem von der Demokratie.

Shimon Stein war von 2001 bis 2007 Israels Botschafter in Deutschland und ist Senior Fellow am Institute for National Security Studies in Tel Aviv, Moshe Zimmermann ist Professor emeritus an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

S. Stein, M. Zimmermann

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