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Israel: "Heiße Abwehr"

Scharfe Kritik an Israels neuer Flüchtlingspolitik. Flüchtlinge sollen an der Grenze abgewiesen oder in ein Haftlager gebracht werden.

Kurz vor den Feiern anlässlich des 60. Jahrestages der Staatsgründung zeigen sich in Israel Menschenrechtler sowie Politiker entrüstet und beschämt: Die Regierung habe nichts aus der Vergangenheit gelernt. Der Staat der Juden, die jahrtausendelang selbst verfolgt waren, zeige kein Mitleid mit den Flüchtlingen aus Afrika. Um deren bis vor kurzem immer größer werdenden Ansturm zu stoppen, hat Premier Ehud Olmert nun die „heiße Abwehr“ aller Flüchtlinge aus der ägyptischen Sinai-Halbinsel befohlen. Die Autorin und für Flüchtlinge zuständige Vizebürgermeisterin von Tel Aviv, Jael Dajan, stellte klar, was das bedeutet: „Heiße Abwehr heißt mit dem Finger am Abzug.“

Um die unerträglichen Lebensbedingungen der mindestens 2600 schwarzafrikanischen Flüchtlinge in Tel Aviv zu verbessern, wollten Dajan und Bürgermeister Ron Huldai im Stadtzentrum eine Zeltstadt errichten. Nachdem am Wochenende weitere 600 Flüchtlinge in seiner Stadt eingetroffen waren, schrieb Huldai in einem Eilbrief an Olmert: „Dies ist ein nationales Problem, die Stadtverwaltung von Tel Aviv kann nicht allein die Bürde tragen“. Olmerts Leute rieten Dajan von der Zeltstadt ab und tatsächlich wartet die Kämpferin für Minderheiten und Menschenrechte noch: „Wenn Olmerts Plan in den nächsten 48 Stunden greift, dann macht es keinen Sinn, große Summen für die Zeltstadt auszugeben.“

Olmert will aber nicht nur die Flüchtlinge an der Grenze zu Ägypten abweisen. Er will die vermutlich etwa 10.000 Flüchtlinge, von denen die meisten um Asyl bitten wollten, ins Haftlager Ketziot an der ägyptischen Grenze bringen lassen. Israels Außenministerium soll nun innerhalb einer Woche ein afrikanisches Drittland finden, das die Flüchtlinge aufnimmt, die weder in ihre Heimatländer – insbesondere Eritrea, Äthiopien und Sudan – zurückgeschafft werden können noch in Ägypten Zuflucht finden. Jedoch ist Ketziot bereits mit palästinensischen Sicherheitshäftlingen überfüllt. Und Minister und Experten warnen vor Illusionen: Ägypten sei nicht bereit, die Flüchtlinge zurückzunehmen.

Die genaue Anzahl der Flüchtlinge in Israel ist unbekannt. Allein im vergangenen Jahr soll die Armee etwa 5000 Menschen direkt nach dem Grenzübertritt abgefangen haben, Tausende weitere gelangten unerkannt ins Land. Nachdem im Januar und Februar 2600 weitere Flüchtlinge gefasst worden waren, fiel deren Zahl im März rapide auf 350. Die Armee führt dies auf eine „verbesserte Kooperation“ mit Ägypten zurück. Doch „verbesserte Kooperation“ heißt für die Flüchtlinge Lebensgefahr: Vergangene Woche wurden in Ägypten sechs Flüchtlinge erschossen. Verletzte hatten sich bis zu diesem Montag noch in der Poliklinik der „Ärzte für Menschenrechte“ in Tel Aviv gratis versorgen lassen können. Nun schlossen die Ärzte – alle Freiwillige – die Klinik, um das Gesundheitsministerium zu zwingen, die Verantwortung für die Flüchtlinge zu übernehmen. Charles A. Landsmann

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