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Die Siedlung Maaleh Adumim östlich von Jerusalem, im Vordergrund Baracken von Beduinen.

© dpa

Israel: Nicht alles ist Ideologie

Was treibt die israelischen Siedler an? Meraw Gotlieb, Danny Dayan und David Wilder – drei Beispiele aus der Westbank.

Schlagzeilen machen immer nur die einen. Die mit den wehenden Schläfenlocken und vor Wut verzerrten Gesichtern, wenn sie sich wieder einmal weigern, ihre illegalen Wellblechhütten zu räumen. Jüdische Siedler auf palästinensischem Gebiet sind in der Welt nicht gern gesehen. Dabei machen die Radikalen unter ihnen kaum mehr als fünf Prozent aus. Die große Mehrheit von ihnen packt morgens ihre Aktentasche, schmiert Butterbrote für den Nachwuchs und freut sich darüber, nach Feierabend die Füße im erschwinglichen Heim hochzulegen. Sie würden sich als vieles bezeichnen lassen. Aber sicherlich nicht als Siedler.

Meraw Gotlieb gehört zu den 360 000 jüdischen Israelis, die jenseits der grünen Grenze zu Hause sind. Sie ist Sozialarbeiterin an der Tel Aviver Universität und lebt in Schaarei Tikwa, 15 Autominuten vom Kernland entfernt. „Wir mieten ein Cottage mit riesigem Garten für 400 Dollar. In Israel ist das unmöglich, das Leben ist dort kaum noch zu bezahlen.“ Ideologie, das Land für Juden zu beanspruchen, spielt keine Rolle. Sie will Lebensqualität für sich und ihre drei Kinder. Zwar waren Bilder von Schießereien und Menschen in Angst in ihr Gedächtnis gebrannt, doch ein erster Besuch überzeugte sie. „Es war so grün, ruhig und hübsch hier.“ Die Nachbarn im palästinensischen Dorf um die Ecke kennt Gotlieb nicht. Stacheldraht rund um die Siedlung macht eine Interaktion so gut wie unmöglich.

Wer sich die 38-Jährige als Frau in Kopftuch, mit langem Rock und bedeckten Armen vorstellt, scheint Opfer stereotyper Bilder. Ihre langen blonden Haare trägt sie offen, dazu Jeans, T-Shirt und einen Silberring am kleinen Zeh. „Ich denke von mir, dass ich eine recht normale Person in einer völlig absurden Situation bin“, sagt sie und schmunzelt.

Absurdität ist Alltag auf diesem kleinen Stück Land. Denn das von Israelis bebaute Gebiet im Westjordanvorland umfasst kaum mehr als ein Prozent der Gesamtfläche. „Wie kann ein läppisches Prozent den Frieden verhindern?“ Gern bemühen Befürworter der jüdischen Siedlungen diese Zahl, um ihre Politik zu verteidigen. In der Realität zeigt sich ein anderes Bild: Die Siedlerorganisationen kontrollieren etwa vierzigmal so viel Fläche dank Sicherheitszonen, Straßen und anderer Infrastruktur, die für Palästinenser tabu sind, geben die israelischen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen Peace Now und Betselem an.

Die Tageszeitung „Jediot Acharonot“ veröffentlichte jetzt Zahlen, die die Regierung lieber unter den Teppich gekehrt hätte. Die fünf Gemeinden mit den höchsten staatlichen Investitionen liegen allesamt im Palästinensergebiet. Angeblich soll der Staat allein 2010 mehr als 200 Millionen Euro in den Ausbau der Siedlungen gepumpt haben. Einzig in zivile Einrichtungen, ohne die Kosten für Infrastruktur mitzurechnen.

Der Schein trügt

Danny Dayan passt hierher. Gänzlich säkular und in Nadelstreifen gibt sich der Chef der Siedler-Dachorganisation Jescha als „moderater Vertreter“. Die sogenannten Preisschild-Aktionen, bei denen jüdische Extremisten Moscheen anzünden und palästinensische Olivenhaine in Stücke hacken, verdammt er. „Wenn diese Leute meinen, sie helfen der Bewegung, sind sie zweierlei: kriminell und dumm.“ Doch der Schein trügt: Dayan ist Nationalist mit Leib und Seele, der ein Groß-Israel propagiert und gegen eine Zwei-Staaten-Lösung Stimmung macht. Besonders ihm verdanken es die Siedler, dass sie in den langen Jahren der Rechtsaußen-Politik von Benjamin Netanjahus Regierung salonfähig geworden sind. Immer mehr Männern aus seinen Reihen gelingt der Sprung nach Jerusalem: Mittlerweile gehören der Leiter der nationalen Landverwaltungsbehörde und der Chef sämtlicher Nationalparks dazu.

Den immensen politischen Einfluss dieser überschaubaren Gruppe begründen Regierungskreise meist mit dem „Konsens in der Öffentlichkeit, dass die Siedlungen zum Kernland gehören“. Tatsächlich würde sich wohl die Mehrheit der Israelis dafür aussprechen, dass sogar im Fall einer Zwei-Staaten-Lösung die Blöcke ihrem Land zugesprochen würden. Dazu gehören unter anderem Modiin Illit, Ariel und Maaleh Adumim bei Jerusalem. Letzterer gerät oft wegen des Korridors „E1“ in die Schlagzeilen, der – würde er jüdisch bebaut – die palästinensische Westbank in zwei getrennte Teile zerschneidet. Die Blöcke haben nichts mit staubiger Einöde gemein, auf der ein paar schmuddelige Baracken stehen. In den modernen Apartmenthäusern mit blühenden Vorgärten wohnen Zehntausende von Menschen.

Diese Entwicklung geht schleichend und leise voran. Die laute Politik machen meist die Menschen in den Enklaven. Wie die Juden in Hebron. Etwa 30 Kilometer südlich von Jerusalem liegt die Stadt mit ihren rund 200000 palästinensischen Einwohnern. Sie gilt als eine der unruhigsten Regionen der Welt, immer wieder bricht sich der Konflikt zwischen Juden und Palästinensern Bahn. Im Zentrum der arabischen Altstadt haben sich 90 jüdische Familien angesiedelt. Bis an die Zähne bewaffnet und rund um die Uhr auf Kosten der Steuerzahler von 1500 Soldaten bewacht. Dies und die Tatsache, dass die Hebron-Siedler als rechtsgerichtete Hardliner gelten, bringt ihnen in Israel wenige Fürsprecher. David Wilder schert das wenig. Er meint, er habe das Recht, hier zu leben, weil sich schon die jüdischen Patriarchen hier niedergelassen hatten. Wilder ist Sprecher der Gruppe, der ständig Besucher durch die Straßen führt, um das Wohnrecht der Juden vorzuführen - in Stein gehauen. Sein Lieblingswort ist "Beweis". "Das sind Fakten, es gibt nichts zu deuteln", tönt er und streckt seine Hand in Richtung einiger Ruinen aus. Wilder lebt seit 17 Jahren in Hebron mit seiner Frau, sieben Kindern und mehr als einem Dutzend Enkel. Eigentlich stammt er aus New Jersey. Zurück will er nicht. Er zeigt auf einen anderen Steinhaufen: "Ich will, dass auch meine Großenkel und alle weiteren Generationen an diesem Ort leben. Wir gehören hier hin."

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