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Angst vor dem Mob, Angst vor der Polizei. Ein Afrikaner während einer Demonstration von Migranten vor zwei Wochen in Tel Aviv.Foto: Ariel Schalit/dapd

© dapd

Israel: Wo Flüchtlinge „Infiltranten“ heißen

In Israel nimmt der Rassismus gegen Afrikaner massiv zu. Nicht nur Rechten, auch der Regierung gelten sie als Grund vieler Probleme

Eli Yishai, Israels umstrittener ultrareligiöser Innenminister, erlebte am Donnerstag eine seltene Sternstunde: Ein Jerusalemer Distriktsgericht erteilte ihm grünes Licht zur Abschiebung von Flüchtlingen aus dem jungen, mit Israel befreundeten Staat Süd-Sudan.

Die 1500 Süd-Sudaner – Menschenrechtsorganisationen geben ihre Zahl mit rund 800 an, davon mindestens die Hälfte Kinder – werde er nun schleunigst abschieben, versprach Yichai. Und die 60 000 „Infiltranten“ aus Eritrea und Sudan – sein eigenes Ministerium spricht von nur 50 000 – „hoffe ich auch zu entfernen“, verkündete Yishai. „Wir haben nichts gegen Fremde. Unser Kampf gilt unserem Haus, dem zionistischen Werk. Wir führen keinen Krieg gegen die Infiltranten, sondern einen Kampf zur Erhaltung des zionistisch-jüdischen Traumes in Erez Israel.“
„Infiltranten“, das ist der übliche Name der Regierung für Flüchtlinge aus Schwarzafrika. Sie gelten als Illegale, unter ihnen gebe es nur wenige Einzelfälle echter Asylbewerber.

In den ärmeren südlichen Stadtteilen Tel Avivs sollen rund 70000 leben, mit einer unübersehbaren Konzentration nahe der seit Jahrzehnten abbruchreifen ehemaligen zentralen Busstation. Ein Großteil dieser Menschen ist auf dem einzigen Landweg, der Afrika mit einem anderen Kontinent verbindet, nämlich über die ägyptische Sinai-Halbinsel, in die israelische Negevwüste gelangt, von der Armee dort gefangen genommen, meist längere Zeit inhaftiert und dann ins Landeszentrum abgeschoben worden. Doch noch vor ihnen tauchten in Tel Aviv zehntausende Arbeitskräfte aus Afrika und Asien unter, deren von Yishais Ministerium ausgestellte Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen abgelaufen waren und die daher ebenfalls nicht mehr als legal im Lande lebende gelten. Tausende sind in der Zwischenzeit abgeschoben worden, doch viele andere entgingen den Greifkommandos der Immigrantenpolizei bisher. Und nicht nur die Staatsgewalt bekämpft sie, auch durch die Gesellschaft rollt gerade eine Welle von Rassismus: Rechtsextreme, angeführt von ehemaligen Aktivisten der verbotenen faschistisch-rassistischen Kach-Bewegung von Rabbi Meir Kahane mit dem Abgeordneten Michael Ben-Arie an der Spitze, haben in den vergangenen Wochen insbesondere in den Armenvierteln und -vorstädten Tel Avivs rassistische Demonstrationen organisiert. Sie endeten meist mit Ausschreitungen gegen die Flüchtlinge und Zusammenstößen mit der Polizei. Die rechten Aktivisten beschuldigen die Afrikaner – wie Minister Yishai –, sie seien für die allgemeine Gewaltwelle verantwortlich und hätten unzählige kriminelle Akte verübt. In der Polizeistatistik liegt die Kriminalitätsrate der Ausländer allerdings insgesamt deutlich tiefer als diejenige israelischer Bürger. Als es kürzlich innerhalb von zehn Tagen dreimal zu Zusammenstößen in der von

von Ultrareligiösen beherrschten, sozial äußerst schwachen Kleinstadt Nevioth nahe des Gazastreifens kam, war die Rede von „Fällen von Gewalt, in die Infiltranten aus Eritrea verwickelt waren“. Tatsächlich war nur in einem Fall ein Flüchtling Angreifer, in den übrigen wurden Eriträer attackiert – von denen jedoch nur wenige in Nevioth leben.
Überhaupt scheint die Gewaltbereitschaft ganz unabhängig von der tatsächlichen Präsenz von Flüchtlingen zu sein. In Jerusalem gab es in der letzten Woche einen Brandanschlag auf ein von Eritreern bewohntes Haus in einem mehrheitlich religiösen Wohnviertel. Es war der erste rassistische Gewaltakt gegen Flüchtlinge in der Stadt. Auch hier halten sich nur ganz wenige Afrikaner auf.
Dennoch klagen einheimische Nachbarn der Flüchtlinge in den heruntergekommenen Armenvierteln täglich in den Medien, sie seien ihres Lebens nicht mehr sicher, hätten Angst um ihre Kinder und trauten sich nicht mehr, nachts ihre Wohnungen zu verlassen. Die Regierung Netanjahu reagierte prompt: Der derart aufgescheuchte Premier kündigte die baldige Abschiebung von 25 000 Afrikanern in ihre Heimatländer an – wenn auch nur in solche, mit denen Israel diplomatische Beziehungen unterhält.
Sein allgemein als überfordert geltender Innenminister glaubte, er könne den Regierungschef noch übertrumpfen: „Ausnahmslos alle Infiltranten“ würden eingesperrt und danach, wo immer möglich, ausgewiesen, kündigte Eli Yishai an. Da Israel in der letzten Zeit viele palästinensische Sicherheitshäftlinge freigelassen habe, gebe es Raum in den Haftlagern. Den Einwand von Menschenrechtlern, Platz sei dadurch maximal für 6000 Personen, konterte er mit dem Plan, sofort abgesperrte Zeltstädte und Internierungslager für die mehr als 70 000 Flüchtlinge in Israel einzurichten.
Bei dieser Zahl bleibt es ohnehin nicht. Monat für Monat stoßen 2000 Neuankömmlinge hinzu, die den beschwerlichen Weg durch den Sudan, Ägypten und den von gewalttätigen Beduinen beherrschten Sinai bis zur israelischen Grenze geschafft und auch den im schnellen Ausbau befindlichen hohen Grenzzaun überwunden oder umgangen haben.

Doch Yishais Innenministerium macht bewusst keine Flüchtlings- und Asylpolitik und die Regierung keine Gesetze dafür. Entgegen internationalen Verpflichtungen behandelt Israel die Flüchtlinge ausschließlich über Verbote oder gar nicht. Asylanträge werden nur in extremen Einzelfällen überhaupt angenommen – und deshalb auch nicht gestellt. Für alle gilt ein absolutes, aber in der Praxis unhaltbares Arbeitsverbot. Es besteht keinerlei rechtlicher oder auch nur medizinischer Schutz, nicht einmal den simpelsten humanitären Ansprüchen wird im Regelfall entsprochen.
Die Regierung spielt auf Zeit: Wenn sich erst einmal der teure Grenzzaun ununterbrochen vom Gazastreifen bis nach Eilat am Roten Meer erstrecke, die potenziellen Flüchtlinge in ihren Heimatländern vom absoluten Arbeitsverbot in Israel Kenntnis genommen hätten, die Aufenthaltslager errichtet und die Abschiebungen angelaufen seien, so Yishai diese Woche, dann reduziere sich das Problem schnell.

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