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Politik: Ist die Union reif für eine Kanzlerin, Frau Merkel?

Die CDU-Chefin über Männer und Macht, die richtige Arbeitsteilung, Deutschland im Jahr 2010 – und warum wir beides brauchen, den Aufbruch und Aspirin

Sie sind neulich bei „Christiansen“ als „mächtigste Frau Deutschlands“ vorgestellt worden. Wie wirkt so etwas auf Sie: übertrieben, treffend – vielleicht sogar etwas erschreckend?

Erschreckend auf keinen Fall. Macht ist die Möglichkeit, etwas gestalten zu können, und das ist doch etwas positives. Viele Frauen haben Macht – in Firmen, in Organisationen, in Familien. Und natürlich habe ich als Vorsitzende einer großen Volkspartei und einer Fraktion Verantwortung und damit auch eine gewisse Macht.

Wie werden Sie die in den nächsten Monaten einsetzen, wenn es darum geht, ob Deutschland sich wirklich auf den Reformweg begibt?

Zum Wohle des Landes und zum Wohle der Union. Und in den richtigen Entscheidungen darüber, wo Kooperation mit der Regierung möglich und wo Konfrontation nötig ist.

Na, so ganz klappt das aber noch nicht mit den Entscheidungen. Wir denken an das Thema vorgezogene Steuerreform …

Es ist uns gelungen, eine gemeinsame Linie festzulegen, die auch die Arbeitsteilung in dieser Republik mal wieder klarstellt. Es kann nicht sein, dass der Bundeskanzler einfach einen Vorschlag macht, und die Opposition soll ihn dann konkret ausfüllen. Die Bundesregierung muss sagen, wie sie eine Steuerreform finanzieren will. Und es scheint ja nun so zu sein, dass der Bundeskanzler endlich auf diese Forderungen der Union eingeht. Warten wir also ab, was uns Herr Eichel in der nächsten Woche vorstellt.

Und warum hat es so viel Streit gegeben?

Wir haben zwei Markenkerne in der CDU, wenn es um Finanzen geht. Der eine heißt: Die Steuern müssen sinken. Der andere heißt: Die Haushalte müssen solide sein. Beim Vorziehen der Steuerreform geraten diese beiden Prinzipien in ein gewisses Spannungsverhältnis.

… und das führt dann gleich zu so einer Art Markenkernspaltung in der Union?

Nein. Etwas zweites kommt noch hinzu. Wir stehen innerhalb der Partei in unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Wir haben einerseits unsere programmatischen Grundideen. Die Ministerpräsidenten müssen aber natürlich zugleich einen Blick auf ihre LänderHaushalte werfen. Eine vernünftig agierende Parteivorsitzende versucht diese Dinge zusammenzubringen, ohne dass das jemanden überfordert, aber auch ohne dass es jemanden unterfordert. Deshalb sind unsere Beschlüsse klug und weise. Ich gehe davon aus, dass sich alle daran halten.

Sie haben sich nach dem Präsidiumsbeschluss vom vorigen Montag „Nebenbemerkungen“ verbeten. Zwei Tage später hat Roland Koch seinen Landtag eine Liste von Bedingungen für die Steuerreform beschließen lassen. War das keine „Nebenbemerkung“?

Wir haben darüber besprochen. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Nebenbemerkungen weiter sinkt.

Ihr Optimismus in Ehren …

Nun, in einer großen Volkspartei wird es immer wieder vorkommen, dass der eine oder der andere der Versuchung nachgibt, dem Kanzler mit Finanzierungsvorschlägen die Arbeit abzunehmen. Aber bei den führenden Kräften habe ich den klaren Eindruck, dass wir auf einem sehr guten Weg sind.

Die Union hat am 14. Juli 2000 hat die Regierung die Länder Berlin und Bremen aus der Blockadefront im Bundesrat herausgekauft. Was haben Sie daraus gelernt?

Genau das, was wir jetzt tun. Zum einen immer im Hinterkopf behalten, dass der Bundesrat kein rein parteipolitisches Gremium ist, sondern dort Länderchefs sitzen, die ihrem Land verpflichtet sind. Und zum anderen Festlegungen erst dann zu treffen, wenn die Zeit dafür reif ist und Entscheidungen anstehen. Das hängt jetzt sehr stark von den Vorschlägen der Bundesregierung und der zeitlichen Abfolge der Beratungen im Bundestag und Bundesrat ab.

Anfang des Jahres erschien die Union als Regierung im Wartestand. Inzwischen hat die Koalition ein Reformer-Image zurückgewonnen, gegen das die Union etwas mühselig wirkt.

Das kann ich absolut nicht erkennen. Herr Schröder hatte im Frühjahr den sicheren Untergang vor Augen. Er hat sich nun in eine Richtung gewendet, die auch wir teilweise vernünftig finden. Aber was er unternimmt, sind wieder nur Trippelschritte, viel zu halbherzig und viel zu spät. Der Bundesregierung fehlt beispielsweise völlig der Mut, betriebliche Bündnisse für Arbeit gesetzlich zu ermöglichen, obwohl gerade dies dringend notwendig wäre. Von den Maßnahmen, die Herr Schröder am 14. März angekündigt hat, steht noch keine einzige im Gesetzblatt. Ich bin von alledem nicht im Mindesten beeindruckt.

Das wäre ja auch etwas viel verlangt von einer Oppositionsführerin. Nach Umfragen indessen steht Schröder in den Augen der Wähler nicht mehr ganz schlecht da.

Aber es gelingt ihm nicht, das Ziel der Bemühungen darzustellen. Es ist nicht erkennbar, wie er Deutschland wieder in eine Spitzenposition bringen will, vom Bildungswesen bis zur Forschung.

Und Sie können uns das sagen, wie Deutschland im Jahr 2010 unter Ihrer Regie aussähe?

Ich habe schon im März vorgeschlagen, dass wir uns für die nächsten zehn Jahre konkrete Ziele setzen sollten, die wir erreichen wollen und bei denen wir anhand von Kennzahlen jedes Jahr überprüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Beim Wachstum sollten wir wieder unter den ersten Fünf in Europa sein. Abgaben, Steuerlast, Staatsquote müssen herunter – wir sagen, unser Ziel muss sein, unter 40 Prozent zu kommen. Die Zahl der Beschäftigten muss steigen. Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass hier wieder Spitzentechnik entsteht, in der Computer- und der Nano-Technik, in der Chemie. Von den fünfzehn wichtigsten neuen Medikamenten der letzten Jahre ist keins hierzulande entwickelt worden. Ein Land wie Deutschland, in dem das Aspirin erfunden wurde, kann damit nicht zufrieden sein.

Aber Spitzentechnik allein schafft nicht genug Arbeitsplätze.

Darum muss man ehrlicherweise zugleich sagen, dass wir bei den Dienstleistungen viel mehr Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich, auch teilfinanziert durch Sozialtransfers, haben werden. Wir müssen jedem Menschen einen Arbeitsplatz anbieten können, der aber nicht immer einer im Hochlohnbereich sein kann. Zugleich werden alle die schlechter gestellt werden als heute, die sich diesem System entziehen wollen und es ausnutzen. Ich wünsche mir ein optimistisches Deutschland, das nicht in Agonie verfällt, sondern neuen Wegen aufgeschlossen ist. Man wird dann übrigens feststellen, dass viele Neuerungen aus dem Osten kommen. Es ist kein Zufall, dass die IG Metall ihr größtes Desaster jetzt in den neuen Bundesländern erlebt hat.

Ob Deutschland reformierbar ist, hängt auch von den Einstellungen der Menschen ab. Ist das „Ja, aber“ der Union eine hinreichend beflügelnde Botschaft?

Wissen Sie, von Worten kommt kein Aufschwung. Der kommt von Taten. Bekenntnisse aus dem Gartenstuhl in Neuhardenberg ändern die Stimmung mit Sicherheit nicht entscheidend. So wenig, wie unser „Ja – aber“ dem Aufschwung Abbruch tut.

Jeder Disput in der Union, besonders aber wenn sich dabei Angela Merkel und Roland Koch gegenüber stehen, wird öffentlich zugleich als Kampf um die Vormacht wahrgenommen.

Man muss damit leben, dass Sachfragen immer sehr schnell in Machtfragen umgedeutet werden, auch wenn nichts dahinter steckt. Das ist in allen Parteien so.

Bei der Union geht das nun aber gleich doppelt schnell. Die Kanzlerkandidatenfrage ist offen, und Sie als Fraktionschefin stehen der Macht der Ministerpräsidenten im Bundesrat gegenüber: Haben Sie wirklich Macht?

Die Bundestagsfraktion ist ein wichtiges Machtzentrum. Sie hat zwar nicht die Mehrheit im Bundestag, aber sie sitzt zum Beispiel mit im Vermittlungsausschuss. Sie macht Stimmung und sie ist dafür verantwortlich, in welcher Weise und mit welchen Argumenten die Regierung angegriffen und unter Druck gesetzt wird. Die Ministerpräsidenten haben Gestaltungskraft in ihren Ländern. Aber die Länder haben auch nicht immer nur gleichgerichtete Interessen. Das muss dann durch die Parteivorsitzende zusammengeführt werden.

Moderation ersetzt Macht?

Ich habe als Partei- und Fraktionsvorsitzende genügend Gestaltungsspielraum, um der Union ein Erscheinungsbild zu geben, mit dem sie sich sehen lassen kann. Und wenn ich mir die Zustimmung in der Bevölkerung anschaue, dann gibt’s eigentlich nichts zu maulen.

Gemault wird trotzdem. Und man hat ja vor kurzem auch vom „Andenpakt“ lesen können, dieser aus einem JU-Scherz geborenen Gruppe, in der der CDU-Nachwuchs untereinander ausgeknobelt hat, wer von ihnen Nachfolger Helmut Kohls werden soll. Dann kam die deutsche Einheit, und mit ihr kam Frau Merkel. Die war aber nicht einkalkuliert …

… das konnte sie ja auch nicht …

… und war damit so etwas wie ein die Kreise störendes Element.

Das glaube ich nicht.

Na?!

Ich bin ein bereicherndes Element, so wie die deutsche Einheit uns insgesamt bereichert hat. Natürlich kann ich nicht die Erfahrungen eines Junge-Union-Mitglieds in den 70er und 80er Jahren nachholen. Ich habe andere Erfahrungen, die prägend und wichtig sind. Es gibt da kein Besser und Schlechter. Jeder muss mit seiner Lebenserfahrung die Politik gestalten.

Aber die Western-Boys haben es da schon einfacher als die Frau ohne Seilschaften?

Dieses Bild von mir – ich denke, dass hat sich doch längst überlebt. Mein Beziehungsgeflecht ist ausgeprägter als es so manch einer beschreibt.

Trotzdem sehen wir es doch aber schon richtig, dass es für die Kanzlerkandidatur der Union 2006 mehr als eine/n Interessenten/Interessentin gibt?

Die Frage der Kanzlerkandidatur ist für uns momentan wirklich kein Thema. Die Union hat seit 1998 einen großen Generationenwechsel sehr gut bewältigt. Und es tut der Partei gut, dass jetzt so viele junge Politiker in Verantwortung sind. Nehmen Sie nur einmal die Riege der jungen Ministerpräsidenten: Roland Koch, Christian Wulff, Peter Müller, Ole von Beust oder Dieter Althaus. Es wäre übrigens auch ein historisch neuer Zustand in der CDU, wenn es unter den führenden Leuten keinen Wettbewerb gäbe.

Und wir sollen jetzt glauben, dass Sie das ganz kühl systemtheoretisch betrachten?

Ja, in der Ruhe liegt die Kraft. Wichtig ist mir jetzt etwas ganz anderes: dass wir bei unseren potenziellen Wählern als eine Kraft wahrgenommen werden, die den Reformprozess in Deutschland anfeuert und ihn nicht lähmt.

Ist die Union kulturell reif dafür, sich eine Frau im Kanzleramt vorzustellen?

Die Union hat das Grundgesetz wesentlich mit formuliert. Und in diesem Grundgesetz ist die Gleichheit von Mann und Frau im Artikel 3 festgeschrieben. Ausnahmen davon sind mir nicht bekannt. Und die CDU ist eine verfassungstreue Partei.

Es gibt seit langem eine Kritik aus den eigenen Reihen, sie führten zu wenig. Fühlen Sie sich davon getroffen?

Ich habe da ein Prinzip: Wenn Kritik auftaucht, sollte man darüber nachdenken, ob etwas Wahres daran ist. Ich glaube aber, wer die letzten Tage erlebt hat, muss sich keine Sorgen um fehlende Führung machen.

Und, geloben Sie dann jeweils Besserung?

Insgesamt bin ich mit meinem Führungsstil zufrieden.

Jetzt müssen wir noch eine Schlussfrage stellen, an der man heutzutage einfach nicht vorbei kommt. Frau Merkel, wo machen Sie in diesem Jahr Urlaub?

Ich bin bei den Musikfestspielen in Bayreuth und Salzburg und anschließend mit großer Wahrscheinlichkeit nördlich von Berlin.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Tissy Bruns. Fotos: Thilo Rückeis

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