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Politik: Ist ein Irak-Krieg noch zu verhindern, Herr Naumann?

Der General über Gutmenschen, Präzisionswaffen und seine größte Niederlage

Herr Naumann, hat die Weltgemeinschaft eine Chance, einen IrakKrieg abzuwenden?

Nur noch, wenn Saddam Hussein eine hundertprozentige Kehrtwende macht, seine Arsenale offen legt und einwilligt, dass verbotene Waffen unter internationaler Aufsicht vernichtet werden. Aber ich halte das für sehr unwahrscheinlich, weil sein Anspruch auf Vorherrschaft an der Existenz dieser Waffen hängt, denn er unterstreicht, dass er dem Staat Israel kein Existenzrecht einräumt. Die Zerstörung dieser Waffen würde daher das Schicksal seines Regimes besiegeln.

Wie gefährlich sind die Waffen, was wissen wir genau, was nehmen wir nur an?

Ich habe keinen Zugang zu geheimen Informationen der Nachrichtendienste. Aber ich habe bei einer Veranstaltung des Bundesnachrichtendienstes im Dezember die offenen Informationen gehört. Schon die legen den Schluss nahe, dass auch der BND der Auffassung ist, dass der Irak seine Arbeit an Massenvernichtungswaffen fortgesetzt hat und im Besitz solcher Waffen ist. Der CDU-Abgeordnete Pflüger hat verlangt, den geheimen Bericht offen zu legen, den der BND dem Außenpolitischen Ausschuss des Bundestags vorgelegt hat und der zu dem gleichen Schluss kommt. Da fragt man sich als Bürger dieses Landes schon, wie die Regierung zur Auffassung kommen kann, vom Irak gehe keine Gefahr aus.

Hans Blix, der UN-Chefinspekteur, sprach im Sicherheitsrat von Hinweisen, dass der Irak Anthrax und Nervengas besitze und sich kürzlich verbotene Raketenteile beschafft habe.

Nicht nur das. Nach seinem Bericht hat Saddam die vielen UN-Resolutionen seit 1991 nicht befolgt, weder den Buchstaben noch dem Geist nach. Es besteht der Verdacht, dass er zwischen 6000 und 30 000 Schuss chemische Munition versteckt. Blix hat von biologischen Waffen gesprochen, was noch viel gefährlicher wäre. Und davon, dass der Irak nicht nachgewiesen hat, was aus rund 1000 Litern Nährstoff geworden ist, mit denen man mindestens 5000 Liter Milzbranderreger herstellen kann. Damit könnte man innerhalb von zwölf Tagen nicht nur die Bevölkerung von ganz Berlin auslöschen, sondern wohl mehr Menschen, als in der Bundesrepublik leben.

Was aber hat die Lage im Irak so verschärft, dass die bisherige Mischung aus Inspektionen und militärischer Eindämmung für Amerika offenbar keine Option mehr ist?

Der Auslöser ist der 11. September. Wir in Europa begreifen nicht, wie dramatisch er die Lage für die Amerikaner verändert hat. Sie sind zum ersten Mal seit der Einäscherung des Weißen Hauses durch die Engländer 1814 auf eigenem Boden angegriffen worden. Sie stellen sich nun vor, was passieren würde, wenn Menschen einen solchen Angriff mit Massenvernichtungswaffen führen , weil sie Amerika, aber auch unsere europäische Art zu leben, so fanatisch hassen. Da ist es doch gar nicht so verkehrt, wenn ein Regierungschef sagt: Es ist meine Pflicht, das zu verhindern. Es würde im Übrigen auch die Lösung des Nahostkonflikts erleichtern, wenn man den Mann von der Macht entfernt, der als einziger Staatschef Israels Existenzrecht bis heute negiert.

Die Amerikaner führen ins Feld: Saddam besitzt Massenvernichtungswaffen, verstößt gegen UN-Resolutionen, ist eine Gefahr für Israel. So viele Begründungen – das hört sich nicht nach einem überzeugenden Grund an.

Amerika hätte besser daran getan, viel früher schlüssige Beweise vorzulegen. Dann wäre auch das dämliche, unbegründete Schlagwort „Blut für Öl“ nicht so populär geworden. Nun gut, vielleicht hätten detaillierte Informationen das Leben von Quellen im Irak gefährdet. Aber die Unterstützung des eigenen Volkes und der Verbündeten aus Überzeugung ist auch ein hohes Gut. Der entscheidende Kriegsgrund ist aus meiner Sicht, erstens, der Besitz von Massenvernichtungswaffen in Verbindung mit dem Verwundungssyndrom der Amerikaner. Und zweitens die Nichtbeachtung von mehr als einem Dutzend UN-Resolutionen durch den Irak in den letzten zwölf Jahren.

Warum wäre das kein Krieg für Öl?

Wenn es um Öl ginge, hätte sich Amerika die Quellen 1991 unter den Nagel reißen können. Die Soldaten standen an den Ölfeldern. Und die USA waren damals viel abhängiger. Heute führen sie circa 50 Prozent ihres Ölbedarfs ein, aber aus wesentlich mehr Ländern, darunter Russland; nur 20 Prozent kommen aus dem Mittleren Osten, die Masse davon aus Saudi-Arabien. Zudem hat Bush jetzt das Ziel verkündet, jeder Amerikaner solle 2021 ein Auto mit Wasserstoffantrieb fahren.

Ist der Irak nicht derzeit so gut kontrolliert wie nie zuvor?

So denken Gutmenschen ohne Sachkenntnis. Aber eine Sicherheit durch Überwachung ist trügerisch. Im Kalten Krieg ist es der DDR trotz Satelliten und allen möglichen Kontrollen gelungen, uns hinters Licht zu führen über die Zahl ihrer Waffen. Sie hatte beispielsweise rund 2200 Schützenpanzer angegeben, wir fanden 1990 mehr als 8000. Ein Schützenpanzer ist viel größer als ein fahrbares Labor für biologische Waffen, und die DDR war ein kleiner, übersichtlicher Staat im Vergleich zum Irak. Was sollen 100 Inspekteure in einem Land von der Größe Frankreichs ausrichten? Ich halte es da mit Königin Elisabeth: Nichts hat das Böse auf der Welt so sehr befördert wie die Gutgläubigkeit vieler guter, aber zum Handeln unfähiger Menschen.

Aber dann müssten Sie doch sagen: Sogar wenn Saddam offiziell voll kooperiert, gibt es keine letzte Sicherheit.

Doch. Wenn Saddam etwas deklariert, können wir das überprüfen. Er muss dann immer weiter offen legen. In einer Diktatur, die sich auf Terror, Unterdrückung und Geheimnis stützt, ist das aber ein Salto mortale, den das Regime nicht durchsteht. Dann fällt am Ende auch Saddam. Im Übrigen bleiben die Inspekteure auch danach im Land, wie bei jedem erzwungenen Abrüstungsabkommen. Erinnern wir uns, wie lange Deutschland unter Kontrolle war.

Andererseits hat der Westen früher mit Saddam kooperiert. Und heute muss man den Irak abrüsten oder ihn stürzen?

Das ist die Tragik vieler amerikanischer Ansätze in der Weltpolitik. Die USA haben ihn gestützt, als sie ihn gegen die Ajatollahs im Iran brauchten. Niemand kann sie davon freisprechen, auch wenn sie aufschrieen, als er plötzlich Giftgas gegen sein eigenes Volk einsetzte. Es war auch ein Fehler, den Aufstieg der Taliban zu unterstützen …

… über Pakistan. Ein Einwand gegen den Krieg lautet deshalb: Amerika weiß, was es beseitigen will, nicht aber, was danach kommt. Die USA hauen drauf und ziehen dann ab?

Das glaube ich eben nicht. Alle Gesprächspartner in den USA haben mir gesagt: Wir haben begriffen, dass wir lange als Besatzungsmacht bleiben müssen – bis eine Stabilität von innen erreicht ist.

Sie haben nichts gegen einen Präventivkrieg?

Ich habe etwas gegen jede nicht legitimierte Gewaltanwendung, aber Vorbeugen ist besser als zu handeln, wenn es lichterloh brennt. In unserer aufgeregten Debatte wird vieles durcheinandergeworfen: zum Beispiel, dass eine von den UN sanktionierte Gewaltmaßnahme ein Angriffskrieg sei. Völliger Humbug. Wenn der Sicherheitsrat eine präventive Maßnahme beschließt, ist das weder verwerflich noch illegal. Entscheidend ist die völkerrechtliche Legitimierung. Es gibt zwei Ausnahmen vom generellen Gewalt- und Interventionsverbot: Selbstverteidigung lässt die UN-Charta in Artikel 51 zu. Und Zwangsmaßnahmen, die der Sicherheitsrat in Vertretung der Welt beschließt, im Kapitel VII.

Einen Präventivkrieg, zu dem sich ein Land selbst ermächtigt, wie das in Amerika diskutiert wird, würden Sie also nicht akzeptieren?

Nein. Das geht allenfalls, wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht, also in Selbstverteidigung. Das kann ich im Fall Irak nicht erkennen. Im jetzigen Fall haben wir aber mit der Resolution 1441 bereits eine ausreichende Legitimation durch den Sicherheitsrat.

Sie waren während des Kosovokriegs Vorsitzender der Nato-Militärausschusses …

… leider …

… warum?

Die größte Frustration meiner Laufbahn war, dass wir mit dem Versuch scheiterten, den Krieg zu verhindern. Wir waren im Oktober 1998 bei Slobodan Milosevic und erreichten ein Abkommen über den Rückzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo. Aber dann passierte, was jetzt wieder geschieht. Die Welt war nicht einig, gab dem Gewaltherrscher Signale, die er so interpretierte: Die werden nicht geschlossen gegen mich vorgehen. Die Lehre aus dem Kosovo für den Irak hätte für die Bundesregierung sein müssen, so schlau wie Frankreich zu sein: sich offen zu halten, im Sicherheitsrat für eine militärische Intervention zu stimmen. Dann wäre die Drohkulisse glaubhaft. Die Bundesregierung aber sagt: Wir sind dagegen, egal, welche Waffen man findet, egal, was die UN sagen. Das kann Saddam nur als Ermunterung begreifen.

Wäre ein Irak-Krieg militärisch riskanter als der im Kosovo, wo alle vor einem Partisanenkrieg warnten, oder in Afghanistan, wo es hieß, Amerika werde wie die Sowjets ein zweites Vietnam erleben?

In einem bewaffneten Konflikt kann man den Ausgang nie hundertprozentig voraussagen, auch nicht die Dauer. Aber Feuerkraft und Treffgenauigkeit der US-Streitkräfte haben seit dem Golfkrieg 1991 enorm zugenommen. Die Wirkung, die man damals mit fünf Wochen Luftkrieg über Kuwait und Irak erzielte, kann Amerika heute in einer Woche erreichen, mit weniger unerwünschten Nebenwirkungen.

Den so genannten Kollateralschäden.

Auch mit weniger Opfern. Die amerikanischen Streitkräfte haben eine einmalige Nachtkampffähigkeit. Sie können auf 4000 Meter Entfernung erkennen, ob sich jemand im Inneren eines Panzers eine Zigarette anzündet. Und sie mit Präzisionswaffen ausschießen. Diese Fähigkeit ist übrigens ein Grund dafür, dass die USA einen Wüstenkrieg im Sommer nicht mehr unbedingt meiden müssen. Sie können bei Nacht kämpfen, da kühlt es etwas ab. Und dann die Psychologie: Wie soll man Bagdad gegen einen überlegenen Gegner verteidigen, den man tagsüber nicht sieht, und nachts kommt ein Verlust nach dem anderen? Welche Truppe steht das lange durch?

Nun wollen wir nicht bereden, was die Bundesregierung zu ihrer Haltung bewogen hat.

Doch, das können wir schon: Hessen und Niedersachsen bewerben sich um einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen .

Sehen Sie einen Weg, wie sich das deutsch-amerikanische Verhältnis reparieren lässt, ohne dass mindestens eine Seite dabei das Gesicht verliert?

Ich weiß nicht, wie man das in kurzer Zeit reparieren kann. Es ist unheimlich viel transatlantisches Porzellan zertrümmert worden. Es wird lange dauern, das zu kitten.

Hat Amerika denn überhaupt noch Lust dazu, oder ist das „alte Europa“ abgeschrieben?

Ich bin sehr unglücklich über diese Wortwahl, die einen weiteren Anreiz liefert, Anti-Amerikanismus in Deutschland zu schüren. Ich glaube auch nicht, dass Verteidigungsminister Rumsfeld das zu Ende gedacht hat. Er ist ja für seinen Sarkasmus bekannt. Europa ist nicht abgeschrieben, aber richtig ist: Die Nato wird mit der Aufnahme der osteuropäischen Staaten amerikanischer.

Warum das denn?

Diese Staaten wissen, wem sie ihre Freiheit verdanken. Und auch, dass die Sicherheitsprobleme Europas nicht gelöst sind. Wir brauchen dafür die Hilfe der USA, und sei es nur als Gegengewicht, um ein dauerhaft stabiles Verhältnis zu Russland abzusichern. Wir hier haben uns ja ein bisschen in das Wolkenkuckucksheim geflüchtet, es sei alles in Europa geregelt. Das ist es eben nicht.

Und dann einigen sich die USA über unsere Köpfe hinweg mit Polen und Tschechen?

Die Amerikaner befinden sich in einer Situation, in der sie Solidarität erwarten können – was nicht unbedingt Teilnahme heißt. Wenn sie permanent frustriert werden, würde ich nicht einmal ausschließen, dass sie sagen: Wir haben die Option, uns bilateral mit Russland zu einigen, über die Köpfe der zerstrittenen Europäer hinweg.

Acht europäische Staaten haben demonstrativ ihre Solidarität mit den USA erklärt.

Das ist der schlimmste Schlag, den die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik bisher erlitten hat. Diese Erklärung ist eine Reaktion, nachdem Berlin und Paris versucht haben, die anderen durch ihre Vorfestlegung zu binden. Die Spaltung Europas ist manifestiert. Für jeden Leser dieser Erklärung in Washington ist damit klar, dass Europa nicht mit einer Stimme spricht. Und ein Europa, das nicht mit einer Stimme spricht, hat in Washington null Einfluss.

Die Bundesregierung sagt, sie beteiligt sich nicht an einem Irak-Krieg, hat aber nichts gegen die Verlegung von Awacs-Aufklärern in die Türkei. Lassen sich Bündnispflichten und Beteiligung militärtechnisch so strikt trennen?

Man kann natürlich die Einsatzregeln so eng fassen, dass das formal keine Beteiligung wäre. Aber wie würde das der Bündnispartner Türkei empfinden, wenn man sagt: Jagdbomber, die über Irak geortet werden, dürfen durch deutsche Fliegerleitoffiziere erst bekämpft werden, wenn sie wirklich im türkischen Luftraum sind? Wissen Sie, solche Bündnispartner braucht und schätzt man wirklich auf der ganzen Welt nicht.

Im ersten Golfkrieg 1991 hat die Regierung Kohl doch auch gesagt, sie ist nicht beteiligt, obwohl auch damals Awacs über der Türkei unterwegs waren.

Also, da bin ich ja Zeitzeuge. Wir haben Alpha-Jets in die Türkei verlegt, Flugabwehrraketen und auch die Awacs. Ich habe, wenn meine Erinnerung nicht trügt, 1994 vor dem Verfassungsgericht ausgesagt, dass natürlich deutsche Fliegerleitoffiziere Ziele über dem Irak verfolgt haben. Es hat sich kein Mensch darüber aufgeregt.

Mit Klaus Naumann sprachen Robert Birnbaum und Christoph von Marschall.

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