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Politik: Ist Ihre Stimmung besser als Ihre Lage, Herr Fischer? Der Außenminister will den Sozialstaat grundlegend verändern – und bei den Krankenkassen

eine Prämie für Jogger. Wie ihn.

Herr Fischer, kann RotGrün mit Zumutungen Wahlen gewinnen?

Das werden wir auf Bundesebene in drei Jahren sehen. Da mir die Gabe der Prophezeiung nicht gegeben ist, wage ich hier keine Spekulation.

Aber die Wahlen in Niedersachsen und Hessen werden doch auch von der Bundespolitik bestimmt sein. Und da steht es für Rot-Grün nicht zurzeit gut.

Abwarten. Schon bei der Bundestagswahl gab es eine gewisse Diskrepanz zwischen Umfragen und tatsächlichem Ergebnis.

Aber Sie würden zumindest zugestehen, dass der Kurs, den die Bundesregierung neuerdings eingeschlagen hat, mit Zumutungen verbunden ist?

Das ist doch keine Frage des Kurses. Es ist die Frage der Realität. Wir müssen sehen, dass wir in einer Situation des weltwirtschaftlichen Abschwungs sind, und der wirkt sich ja nicht nur in Deutschland aus…

…bei uns aber auf besonders dramatische Weise.

Dafür gibt es Gründe. Einer besteht darin, dass wir hier in Berlin-Mitte sitzen dürfen, während wir dieses Interview führen. Im Abschwung schlagen die Herausforderungen, die durch die deutsche Einheit bedingt sind, ganz besonders durch. Auch die strukturellen Defizite und die Schuldenlast spielen dabei eine Rolle. Die deutsche Einheit ist ein großes Glück. Aber nur Deutschland hat inder EU diese Aufgabe zu lösen. Zudem ist eine der größten Spekulationsblasen der neueren Wirtschaftsgeschichte geplatzt. Der neue Markt existiert nicht mehr, viele Hoffnungen sind gescheitert. Das setzt sich in der Weltwirtschaft um. Im Klartext: Die Zumutungen sind doch keine der rot-grünen Regierung. Sie ergeben sich aus den Erneuerungsnotwendigkeiten im wirtschaftlichen Abschwung.

Die Reformen der Sozialsysteme, die Sie sich vorgenommen haben, würden für die Bürgerinnen und Bürger also keine zusätzlichen Zumutungen bedeuten?

Zunächst mal haben wir schon erhebliches geleistet. Mit der Riester-Rente haben wir dazu beigetragen, mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu schaffen. Dieser Ansatz trägt, auch wenn er noch verfeinert werden muss. Wir haben Globalisierungsprobleme und strukturelle Probleme, die sowohl in der Wirtschaft als auch im Bevölkerungsaufbau liegen. Traditionellerweise war die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme überwiegend durch den Faktor Arbeit geleistet. Das funktioniert heute nicht mehr.

Diese Faktoren beschreiben Sie seit zehn Jahren. Waren die Sozialreformen von Rot-Grün zu langsam? War die ruhige Hand des vorvergangenen Jahres ein Fehler?

Rot-Grün hat 1998 sehr engagiert angefangen. Wir Grüne hätten uns gewünscht, dass wir nicht im Jahr vor der Bundestagswahl langsamer getreten wären. Aber es ist doch ganz entscheidend, dass die weltwirtschaftliche Entwicklung im Frühsommer 2001 weggebrochen ist, verstärkt dann durch den 11. September. Das schafft heute die großen Probleme.

Sie müssen in der Regierung die Reformen forcieren zu einem Zeitpunkt, wo die Konjunktur schwach ist. Also haben die Leute zunächst weniger in der Tasche. Was bieten Sie ihnen dafür: mehr Freiheit?

Hier geht es nicht um einen Kuhhandel nach dem Motto: weniger in der Tasche gegen mehr Freiheiten. Ich halte von dieser ideologisierter Form der Alternative gar nichts. Ein Arbeitsloser will nicht mehr Freiheiten, sondern einen Arbeitsplatz. Deshalb bin ich nicht für einen Handel Zumutung gegen Freiheit. Da müssen Sie schon ganz konkrete Fragen stellen, dann kann ich Ihnen klar sagen Ja oder Nein.

Können Sie sich daran erinnern, dass die Stimmung in Deutschland schon einmal so schlecht war wie im Moment?

Ich bin kein Umfrageexperte.

Dass die Stimmung schlecht ist, würden Sie schon zugestehen?

Ich habe doch über die Gründe gesprochen. Vor zwei Jahren wurden in der Boom-Phase in vielen Branchen Verträge mit jungen Leuten abgeschlossen, die besser dotiert waren, als die Einkommen der Vorgängergeneration am Ende eines langen Berufslebens. Da wurden Erwartungshorizonte geschaffen bei der jüngeren Generation, die natürlich mit dem Zusammenbrechen der Spekulationsblase zu einem entsprechendem Absturz geführt haben.

Woher kommt dann der Stimmungseinbruch der Koalition zwischen Ende September und Anfang Dezember?

Wir hatten Schwierigkeiten am Anfang, da will ich überhaupt nicht drumherumreden. Vieles von dem, was wir in den Koalitonsverhandlungen gefordert haben, aber nicht durchsetzen konnten, findet sich im Strategiepapier des Kanzleramts.

Gab es einen Kurswechsel der rot-grünen Bundesregierung zwischen der Wahl am 22. September und dem 22. Dezember, dem Tag, als das berühmte Kanzleramtspapier mit seinen energischen Reformvorschlägen bekannt wurde?

Ich habe mich sehr über dieses Papier gefreut. Wir müssen diese Reformen anpacken, um den Sozialstaat in seiner Substanz zu erhalten. Ich weiß aber auch, dass unser großer Koalitionspartner unter anderen Zwängen steht, wenn er 40 Prozent und mehr der Wähler binden will – und daran haben wir Grüne großes Interesse. Ich halte gar nichts davon, sich vom Grundgedanken der Solidarität zu verabschieden. Aber auf der anderen Seite haben wir nach über 50-jährigem Frieden eine Vermögensbildung in Westdeutschland, an der auch breite mittlere und teilweise untere Schichten teilhaben. Deshalb kann die Frage, welchen eigenen Anteil die Menschen zu ihrer sozialen Sicherung beitragen, anders gestellt werden als noch in den 70er oder 80er Jahren. Wir haben nun eine Generation von Erben. Da entstehen auch neue Verantwortlichkeiten.

Sie verlangten nach konkreten Fragen: Steuern senken oder Steuern erhöhen?

Die Milchmädchenrechnung geht nicht auf, die lautet: Wir senken die Steuern, die Konjunktur springt an und dann haben wir mehr Geld. Wir haben nicht den Spielraum für Steuersenkungen über die für 2004 und 2005 beschlossenen – oder aber wir müssten Leistungskürzungen über das hinaus beschließen, was bereits im Gesetz steht. Ich will auch keine Steuersenkungen auf Pump finanzieren.

Was muss man wählen können in der Gesundheit?

Da gibt es nun eine Kommission, der will ich nicht vorweggreifen.

Die Einführung der Wahlfreiheit bei den Krankenkassen, wie sie das Kanzleramtspapier vorsieht, unterstützen Sie?

Das ist eine interessante Idee.

Soll es für Jogger geringere Beiträge bei den Krankenkassen geben?

Würde ich mich als Jogger sehr freuen, ich bin Kassenpatient und bezahle den Maximalbetrag. Natürlich muss man sich auch die Frage stellen, ob in Zeiten, wo das Geld in den sozialen Sicherungssystemen knapper wird, nicht nur die Verwaltungskosten zu reduzieren sind, sondern auch der Leistungskatalog der Krankenversicherung gründlich überprüft wird. Man könnte sich das zum Beispiel bei Risikosportarten durchaus vorstellen. Da gibt es noch Möglichkeiten, die den Solidarcharakter überhaupt nicht einschränken würden.

Ihre eigene Erfahrung mit körperbewusstem Verhalten spricht dafür?

Meine Entscheidung, mit dem Laufen anzufangen und mich bewusst zu ernähren, hat meine Gesundheit stabilisiert und damit perspektivisch Kosten entlastend gewirkt. Einen Bonus für Menschen, die gesund leben, kann ich mir deshalb tatsächlich vorstellen. Bewegungsarmut und eine nicht balancierte Ernährung sind nun einmal die Hauptursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Gesundheitsbewusstes Verhalten sollte deshalb belohnt werden. Vor allem sollte man hier von Anfang an noch mehr für die nachwachsenden Generationen tun. Eine Neujustierung, bei der nicht mehr alles Wünschenswerte bezahlt wird wie in Zeiten des Überflusses, die halte ich für äußerst vernünftig. Das sage ich als überzeugter Anhänger der solidarischen Krankenversicherung.

Müssen die Menschen, um der Situation gerecht zu werden, den privaten Konsum einschränken?

Ich bezweifle, dass das Signal Konsumverzicht in der schwächelnden Binnennachfrage das Richtige wäre. In dieser generellen Frage wird man das weder mit Ja noch mit Nein beantworten können.

Warum ist der Kündigungsschutz bei uns heilig, obwohl er jungen Menschen schadet?

Der Kündigungsschutz ist nicht heilig. Es gibt Regeln, die sicherstellen, dass man nicht morgens zur Arbeit geht und abends ohne Job wiederkommt, wie das in manchem anderen Land möglich ist. Wir reden in der Koalition im Rahmen der Arbeitsmarktforum sehr ernsthaft darüber, wie man hier mehr Beweglichkeit schaffen könnte. Aber ich bin entschieden dagegen, den Kündigungsschutz generell über Bord zu schmeißen

Besorgt Sie nicht die Lage der jüngeren Leute: Sie kommen in der Krise nicht in den Arbeitsmarkt hinein und sind wegen des Kündigungsschutzes die Ersten, die gekündigt werden.

Dass die Krise ausschließlich oder überwiegend zu Lasten der Jungen ginge, das kann ich nicht nachvollziehen. Dass man zum Beispiel beim Stellenabbau zuerst darauf schaut, wer Familie hat, weil da viele von einem Einkommen abhängen, finde ich richtig. Es ist ein Unterschied, ob ein junger Berufsanfänger freigesetzt wird, den es hart trifft, oder ein Fünfzigjähriger, der auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr hat.

Warum waren Sie persönlich in den vergangenen Wochen fast abgetaucht, wo es um die großen Reformfragen ging? Warum äußerte sich der glaubwürdigste Politiker der Regierung nicht zur rot-grünen Regierungskrise?

Weil ich alle Hände voll zu tun hatte, an den Lenzpumpen zu arbeiten.

Weil das Regierungsschiff abzusaufen drohte?

Nein. Kurz vor dem Absaufen können Sie die Pumperei einstellen. Lenzpumpen muss man einsetzen, wenn Wasser da ist. Es war nicht die Stunde der Interviews, sondern der Arbeit.

Ihre Partei hat sich zur Speerspitze der Friedensbewegung erklärt. Wen soll diese Speerspitze treffen?

Unser Parteivorsitzender Reinhard Bütikofer hat das auf einer Pressekonferenz gesagt. Ich kommentiere Äußerungen meines Parteichefs nicht. Im Parteirat haben die Grünen einen sehr vernünftigen Beschluss zur Irak-Frage verabschiedet.

Fürchten Sie nicht, dass in der wachsenden Anti-Kriegs-Stimmung in Deutschland jener außenpolitische Realismus hinweggespült wird, den Ihre Regierung auch im linken politischen Spektrum verankert hatte?

Nein. Die Menschen in Deutschland leben doch nicht plötzlich wieder in einer idealisierten Welt, wenn sie diesen Krieg ablehnen. Ich kann nicht für eine militärische Aktion eintreten, die ich nicht für sinnvoll halte. Ich habe mich aber nicht zur Taube zurückverwandelt.

Wächst die internationale Zustimmung zur deutschen Haltung?

Mir begegnet es immer wieder, dass man mir hinter vorgehaltener Hand und geschlossenen Türen mitteilt, wie sehr man unserer Meinung ist.

Wie wichtig ist das Motiv Öl bei der Entscheidungen der amerikanischen Regierung über den Irak?

Ich glaube nicht, dass dies das zentrale Motiv ist.

Was treibt Präsident Bush an?

Sie werden dazu vom deutschen Außenminister keine öffentliche Motivationsforschung hören.

Das Interview führten Stephan-Andreas Casdorff, Hans Monath und Bernd Ulrich.

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