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Spiegelt die Verfassung des Landes: Startorhüter Gianluigi Buffon.

© AFP

Italien: Land des Versagens

Der Fußball ist das Spiegelbild der traurigen Lage des Landes, in dem noch immer alte Seilschaften dominieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Am Ende weinte Gigi Buffon nicht um sein letztes Spiel nach fast 20 Jahren als Nationalspieler. Am schlimmsten an der Niederlage gegen Schweden, sagte der Star-Torhüter der Azzurri mit Tränen in der Stimme, sei dies: „Wir haben auch sozial versagt.“ Am Morgen nach der Katastrophe waren sich die Kommentatoren mit Buffon einig. Jetzt sei es auch noch mit der Illusion aus, dass Italien wenigstens im Fußball noch etwas zähle, schrieb der „Corriere della sera“, und der Leitartikler der „Repubblica“ sieht das Land sogar um ein Stück Kulturerbe gebracht: Nach den Desastern von 2010 und 2014, als die Squadra azzurra bereits in der Vorrunde ausschied, nun die erste WM seit fast 60 Jahren ganz ohne Italien. Eine Generation werde „ohne die Erinnerungen ihrer Väter und Großväter sein“.

All dies drückt Wünsche aus, die der italienische Fußball schon längst nicht mehr erfüllen kann. Als Ort nationaler Erbauung hat er ausgedient, dafür ist er zum Spiegel der traurigen Lage des Landes geworden. In beiden sind zu viele alte Männer mächtig, die weder das Nötige tun noch das Herrschen lassen können. „Erst mal bleiben“ war denn auch die erste Reaktion des Fußballverbandsvorsitzenden und seines Nationaltrainers nach dem Schlusspfiff.

Dem 74-jährigen Fußball-Präsidenten Carlo Tavecchio, der sich sowohl in der untergegangenen Christdemokratie wie im Sport über Jahrzehnte nach oben diente, gibt die Erfahrung recht. Trotz rassistischer Äußerungen und einer monatelangen Uefa-Sperre danach schaffte er es zweimal auf den Chefsessel. Ausgerechnet von Spielern, die nichts könnten als Bananen essen, hatte er schwadroniert – als Funktionär eines Sports, dessen Stadien seit Jahren Schlagzeilen wegen rassistischer Gewalt machen, wo zuverlässig Bananen Richtung Rasen fliegen, sobald nichtweiße Spieler auflaufen. Fast unnötig zu sagen, dass Tavecchio auch zum Frauen-Fußball ein vorgestriges Verhältnis pflegt.

Berlusconi ist zurück

Während einer wie er das Spiel kommandiert, schickt sich ein Bruder im Geiste gerade an, das Land wieder in den Griff zu bekommen, obwohl er wegen Steuerbetrugs verurteilt ist und nicht mehr gewählt werden darf: Das Comeback des Fast-Altersgenossen Silvio Berlusconi, auch er ein Freund der Frauen und einer Welt aus Weißen, scheint seit der Wahl auf Sizilien vor einer Woche sicher. Da brachte der 81-Jährige seinen Kandidaten gegen die Konkurrenz der favorisierten systemkritischen Fünf-Sterne-Bewegung und die Reste der italienischen Linken durch.

Die ihrerseits beweist, dass in Italien auch Jugend alt aussehen kann: Ihr einstiger selbsternannter Hoffnungsträger Matteo Renzi, inzwischen 42, scheiterte vor einem Jahr mit einer autoritären Verfassungsreform, die den Berlusconismus von halblinks vollendet hätte. Die Partei führt – und spaltet, zerbröselt – er trotzdem weiter.

Der Blick auf Italien verführt oft zur Annahme, Krise sei praktisch Teil des italienischen Erbguts. Doch das vermischt das Land der ewigen Regierungswechsel bis Ende der 1980er, das dabei stabil und wohlhabend war, mit dem von heute. Italiens Kreativität und Energie sind wohl nicht kleiner geworden – sogar die Wirtschaft wächst wieder etwas mehr –, aber sie werden inzwischen verschlissen: In prekären Jobs, die für jetzt wie später nicht reichen und die als mammoni, als Mama-Kinder, verspotteten Jungen in Abhängigkeit von Eltern mit noch guten Renten zwingen – wenn sie ihren Tatendrang und ihr Talent nicht ins Ausland retten.

Auch die Sehnsucht nach guter Politik gibt es; dass die im Ausland oft missverstandene Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo jahrelang wuchs, ist ein, vielleicht verzweifeltes, Zeichen dafür. Weil das Land der alten Seilschaften stark ist und die Hoffnung auf Veränderung erstickt, wird aus dem Wünschen – noch – keine neue Politik. Und ob Italiens Fußball sich neu erfindet: Zwei vergeigte WM-Vorrunden bewirkten nichts. Sollte nun tatsächlich ein verpasstes WM-Ticket etwas ändern?

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