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Italien: Prodis Regierung zeigt Auflösungserscheinungen

Die seit 15 Monaten regierende Mitte-links-Koalition bröckelt. Minister spekulieren öffentlich über mögliche Nachfolger des glücklosen Romano Prodi.

Giulio Andreotti ist nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Siebenmal war er Regierungschef, viermal so oft Minister. Daher reagierte der 87-Jährige im Senat gewohnt gelassen auf die tumultartigen Szenen, die das Abstimmungergebnis zur Justizreform begleiteten: 152 zu 151. Dass die Stimme Andreottis, des Senators auf Lebenszeit, die Regierung Prodi vor dem Sturz bewahrte, wertete der aufgebrachte Oppositionsführer Silvio Berlusconi als eine „skandalöse Anomalie“. Andreotti sei kein gewählter Senator. Natürlich legte sich Berlusconi auch mit Alfredo Biondi an, jenem Senator aus den eigenen Reihen, der den Sitzungssaal zum Zeitpunkt der Abstimmung kurz verlassen hatte.

Dass im Senat die Ausnahme die Regel ist, musste die Regierung tags darauf erneut schmerzlich zur Kenntnis nehmen. Da scherten drei Dissidenten aus Prodis Lager aus und legten zur Justizreform einen eigenen Abänderungsantrag vor, der vom Justizminister abgelehnt wurde. Die Opposition stimmte zu, die Regierung war geschlagen.

Die seit 15 Monaten regierende Mitte- links-Koalition zeigt Auflösungserscheinungen. Minister spekulieren öffentlich über mögliche Nachfolger des glücklosen Romano Prodi. Vizepremier Francesco Rutelli denkt laut über eine Koalition mit den Christdemokraten nach. Silvio Berlusconi macht aus seinem Versuch kein Geheimnis, einige Senatoren der Mehrheit abzuwerben: „Statt schöner Frauen hofiere ich jetzt weniger schöne Männer.“ Vier Senatoren seien bereit zum „Wachtelsprung“, wie der Wechsel ins andere Lager in Italien genannt wird. Namen nannte Berlusconi nicht. Das politische Klima ist so frostig wie selten zuvor, die Fronten sind unversöhnlich.Bei der Debatte über die Justizreform beschimpfte die Forza-Italia-Senatorin Anna Bonfrisco am Freitag den langjährigen Mailänder Staatsanwalt Gerardo D’Ambrosio als „Mörder und Kriminellen“. Nie war der Unmut der Italiener über die Politik so ausgeprägt. 51 Prozent sind der Überzeugung, die Lage habe sich seit dem „Mani pulite“-Schmiergeldskandal noch verschlimmert.

Die Regierung versuchte am Freitag, mit einem Gesetzentwurf gegenzusteuern, der die exzessiven Kosten der Politik reduziert und die bizarren Privilegien der Politiker beschneidet. Ob er jemals diskutiert wird, ist freilich fraglich: Über hundert Gesetzentwürfe stauen sich im Parlament. Am Wochenende verschob Prodi den angekündigten Kompromissvorschlag zur Rentenreform auf kommende Woche. Die Gegensätze scheinen unüberbrückbar. Die Kommunisten fordern eine Herabsetzung des Rentenalters auf 57 Jahre. Andernfalls sei „eine Gegenstimme im Senat unvermeidbar“.

Gerhard Mumelter[Rom]

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