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Italien: Sprengstoff für den Cavaliere

Silvio Berlusconi sagt heute von sich, er habe die mafia bekämpft wie keiner vor ihm. Ein Ex-Mafioso sagt, Berlusconi habe einst Attentate in Auftrag gegeben – um an die Macht zu kommen.

Der 4. Dezember ist Festtag der Heiligen Barbara; Bergleute und Tunnelbauer verehren sie als ihre Patronin. Und wenn Italiens Presse meldet, die Polizei habe irgendwo „ein Santabarbara“ aufgespürt, dann meint sie das Handwerkszeug jener Berufe: ein Sprengstoffarsenal. In dieses Bild passt, dass der ehemalige Mafioso Gaspare Spatuzza nach dem Willen der Staatsanwälte just am Barbaratag vor Gericht auftreten soll: Seine Aussagen könnten explosiv wirken – für den Regierungschef, für Silvio Berlusconi.

Dieser macht seit Wochen einen so nervösen Eindruck wie noch nie. Das Verfassungsgericht hat ihm die Immunität in Strafsachen verwehrt; seither suchen seine Anwälte im Parlament hektisch Ersatzlösungen, um Berlusconi ein Gerichtsverfahren zu ersparen. Der Aufwand, den sie dafür treiben, ist so groß, dass er Verdacht erregt: Wieso hat Berlusconi derartige Angst vor einem Bestechungsprozess, der kurz vor der Verjährung steht?

Die Vorwürfe, die der ausgestiegene, zum Theologiestudium bekehrte Mafioso Spatuzza erhebt, sind mehr als schwerwiegend: Berlusconi soll der politische Auftraggeber für eine Reihe von Bombenanschlägen gewesen sein, mit denen die Cosa Nostra 1993 und 1994 ihren Terror erstmals von Sizilien aufs Festland getragen hat: nach Rom, Florenz und Mailand. Neun Menschen starben, Dutzende wurden verletzt; der Schaden an Kulturgebäuden war immens.

Die Republik taumelte damals sowieso: Der Bestechungs- und Parteispendenskandal „Tangentopoli“ riss Italiens politische Klasse in den Abgrund – und in Mailand entwarf der Bau- und Fernsehmogul Silvio Berlusconi seinen eigenen Einstieg in die Politik. Sein enger Freund, der Sizilianer Marcello Dell’Utri, der die Werbefirma des Fernsehimperiums leitete, formte unmittelbar aus dieser heraus eine Partei für den Chef, die Forza Italia. Dell’Utri ist 2004 wegen Unterstützung der Mafia in erster Instanz zu neun Jahren Haft verurteilt worden; der Berufungsprozess nun wird durch Spatuzzas Erklärungen noch bedrängender.

Der Deal zwischen Mafia und Berlusconi könnte, falls Spatuzza überhaupt recht hat, so ausgesehen haben: Der hoffnungsfrohe Neupolitiker bestellt bei der Cosa Nostra einige Anschläge, um ein Klima der Angst zu schüren und davon zu profitieren; nach seiner – 1994 tatsächlich erfolgten – Wahl verzichtet die Mafia auf Attentate, der neue Premier schreibt dies dem eigenen, entschlossenen Wirken zu. Die Mafia erhält dafür Erleichterungen für die bei den Bossen verhasste Isolierhaft im Hochsicherheitstrakt. Womöglich wurden ihr bei den Verhandlungen noch andere Zugeständnisse gemacht; auch das wird nun gerichtlich erforscht.

Der politische Hintergrund der Attentate von 1993/94 war schon früher Gegenstand eines Prozesses; aus Mangel an belastbaren Indizien aber waren die Ermittlungen gegen Berlusconi und Dell’Utri 1998 eingestellt worden. Damals aber hatte Spatuzza noch nicht ausgepackt. Berlusconi sagt heute – in einer Zeit, in der praktisch alle großen Bosse der Cosa Nostra hinter Gittern sitzen –, kein Regierungschef habe so viel zur Bekämpfung der Mafia getan wie er. In der Tat hat Berlusconi auch die von der Mafia verlangten Hafterleichterungen nicht gewährt: Der Kerker ist eher noch strenger geworden.

Die Mafiosi – so spekuliert mangels genaueren Wissens die Tageszeitung „La Repubblica“ – hätten also mit dem „Verräter Berlusconi“ noch eine Rechnung offen. Daher die aktuellen Anschuldigungen. Berlusconi habe Angst, die Mafia könnte nun ihn in den Abgrund reißen.

Berlusconis familieneigene Schmieren-Zeitung „Il Giornale“ schreit Alarm: Die Justiz werde nun das Vermögen des Regierungschefs beschlagnahmen; bei „Unterstützung der Mafia“ reiche ja schon der Verdacht aus. Berlusconi selbst fürchtet, die Gerichte könnten ihm das Ausüben öffentlicher Ämter verbieten. Bei Marcello Dell’Utri hat das die erste Instanz schon getan; Berlusconis Freund ist trotzdem Abgeordneter geblieben.

Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen mitgeteilt, was die Anschläge von 1993/94 betreffe, so ermittle sie diesmal nicht gegen Berlusconi und Dell’Utri. Das aber hat die Gemüter nicht beruhigt – und die Spekulationen schon gleich gar nicht.

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