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Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano ist zurückgetreten.

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Italien: Staatspräsident Giorgio Napolitano zurückgetreten

Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano ist zurückgetreten. Und schon bahnt sich das nächste landestypische Politik-Gezänk an: alle gegen alle.

Seinen Abschied hatte sich Giorgio Napolitano auch entspannter vorgestellt. Er hatte gedacht, dieser Junge da in seinem Ungestüm würde die Sache schon reißen, etwas ruppig, gewiss, aber entschieden, und er selber, müde von fast 90 Jahren Leben und 62 Jahren Politik, könnte sich beruhigt aufs Altenteil zurückziehen. „Soll keiner klagen, es gehe alles zu stürmisch“, hatte Napolitano den versammelten Spitzen von Staat und Gesellschaft noch Mitte Dezember zugerufen: „Endlich hat eine italienische Regierung Reformen angepackt, die schon seit Jahrzehnten für nötig befunden wurden, und es tut auch unserem internationalen Ansehen gut, dass nun alles Verzögerungen, ohne Halt vorangeht.“

Das war es, was Napolitano immer gewünscht hatte, und was er in seinem Handeln immer als Maxime angesehen hatte, das wünschte er dem Land und der Politik zum Abschied jetzt ausdrücklich nochmal: Dass endlich Ruhe einkehre in die Politik, Verlässlichkeit, „normale Verhältnisse“ eben – ohne diesen ewigen Pulverdampf, ohne diese unaufhörliche Kampagnenstimmung, ohne den andauernden Ruf „von wem und mit welchen Absichten auch immer“ nach Neuwahlen.

Jetzt ist Mitte Januar, Napolitano geht tatsächlich. Und alles ist wieder so desolat, wie es vorher war. Dieser Junge da, Matteo Renzi, hat sich verhoben. Irgendwie – er sagt: durch seine eigene Hand – ist ins Haushaltsrecht ein Passus geraten, der nach einer Amnestie für Silvio Berlusconi aussieht und nach einem Milliardengeschenk für alle anderen großen Steuerbetrüger Italiens. Absicht oder Betriebsunfall oder einfach nur – typisch Renzi – schludrige Kommunikation? Die Geier jedenfalls haben auf so etwas schon  gewartet. Von allen Seiten stürzen sie sich auf den Regierungschef, die Gegner in der eigenen Partei nicht zuletzt, die den Stürmischen immer schon kleinkriegen wollten und nun erstmals eine dafür geeignete Schwachstelle an ihm gefunden haben. Und während Renzi sichtlich in der Defensive abtaucht, steigt der andere wieder aus seiner gerichtlichen Versenkung auf: “Wenn ich im Februar meinen Sozialdienst hinter mir habe“, sagt Silvio Berlusconi, „dann starten wir Rechten mal wieder eine richtig große Wahlkampagne.“

Die Nachfolge wird ein großes Gezänk werden

Die Wahl von Napolitanos Nachfolger als Staatspräsident – wahrscheinlich Ende Januar – wird  demnach ein einziges Gezänk werden, eine Generalabrechnung, eine Hackerei von allen gegen alle. Und es wird nicht die ruhige Amtsübergabe in einem demokratisch gereiften, international wieder geachteten Landes, die sich Napolitano so erhofft hatte.

Nun gut. Napolitano selbst ist Kind eines solchen Mega-Gezänks. Im April 2013 hatte er schon die Umzugskisten gepackt, um nach sieben Amtsjahren auf dem Quirinal noch etwas von seiner Familie und seiner Rente zu haben. Doch im Patt nach der Parlamentswahl damals – Sozialdemokraten, Berlusconi und Beppe Grillo praktisch gleichauf – ging auch die Neuwahl des Staatspräsidenten daneben; am Ende erledigten 101 sozialdemokratische „Heckenschützen“ im Parlament auch noch den eigenen Kandidaten, Romano Prodi, und weil die Parteien keinen Ausweg mehr wussten, pilgerten sie alle den Quirinalshügel hinauf, um dem damals schon knapp 88jährigen ein zweites Mandat abzuringen.

Den Anfang machte ausgerechnet Berlusconi, der 2006, bei Napolitanos erster Wahl, im Parlament nicht einmal geklatscht hatte. Napolitano war schließlich Kommunist, und Kommunisten, so dozierte Berlusconi jeden Tag aufs  Neue, „haben immer und überall nur folgendes gebracht: Elend, Terror, Tod.“

Dass er bei Napolitano damals an der falschen Adresse war, störte den Demagogen Berlusconi nicht weiter. Napolitano war nie ein Moskau-Betonkopf wie so viele andere Kommunisten Italiens, sondern immer schon der Vordenker eines europäischen Sozialismus, Fachmann in seinem einstigen Parteivorstand für Wirtschafts- und Außenpolitik. 1989/90 hatte Napolitano kein Wendemanöver nötig; da war er schätzte man ihn längst als Gesprächs- und Denk-Partner in den USA und Westeuropa: den ersten Kommunisten, der im amerikanischen Aspen-Institut einen Vortrag halten durfte. „Sir George“ nannte man ihn damals schon in Italien, diesen gebürtigen Neapolitaner mit der distinguierten Eleganz eines britischen Gentlemans – und mit einer Fähigkeit, die nur ganz wenige italienische Politiker aufweisen: Napolitano hat keinerlei sprachliche Mühe, sich als Aushängeschild seines Landes auch in amerikanische oder englische Fernsehstudios zu setzen.

Napolitano war neun Legislaturperioden lang Parlamentsmitglied; 1992 stieg er gar zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses auf – in einer Zeit, als der Parteispenden- und Bestechungsskandal „Tangentopoli“ das korrupte System der „Ersten Republik“ hinwegfegte. Auf Napolitanos Integrität ist erst vergangenes Jahr ein leichter Schatten gefallen, als ihm palermitanische Staatsanwälte vorhielten, er habe etwas mit illegalen Absprachen zwischen Staat und Mafia zu tun gehabt. Beweise gibt es nach wie vor keinen einzigen.

In dieser Zeit ist auch Napolitanos Ansehen im Volk etwas  zurückgegangen. Bis dahin genoss er ein Vertrauen wie kein Politiker neben ihm; er war – und ist mit „relativer“ Vertrauensmehrheit immer noch – für viele Italiener ein Hoffnungsanker der Ehrlichkeit, der Stabilität, der Uneigennützigkeit.

Die Rechten verzeihen ihm nicht

Nur verzeihen es ihm die Rechten nicht, dass er im November 2011, als Italien in seiner Schulden- und Wirtschaftslage zur akuten Gefahr für den Euro-Raum geworden war, den damaligen Regierungschef Silvio Berlusconi zum Rücktritt drängte. Lautlos, aber entschlossen und vor allem ohne soziale Verwerfungen orchestrierte Napolitano damals die Technokraten-Regierung unter Mario Monti, und im Februar 2014 geleitete er Matteo Renzi ins Amt, nachdem dieser Junge da seine eigene Partei und ihre nur wenig handlungsfähige, von einer unwilligen Großen Koalition angeblich „getragenen“ Regierung von Enrico Letta überrannt hatte.

Das war schon die zweite vom Volk nicht gewählte Regierung, die Napolitano ins Amt gehievt hatte. Er habe seine Befugnisse damit zu Lasten der Demokratie überzogen, sagen die einen, und in der Bezeichnung „Re Giorgio – König Georg“, die Napolitano mittlerweile erhalten hat, schwingt sowohl höchste Anerkennung mit als auch Zweifel. Aber wer weiß schon, wo Italien heute ohne die ruhige Hand und ohne die weise, unbeirrbare Regie seines Staatschefs stünde. Eines steht fest: ein Nachfolger von auch nur annähernd vergleichbarer Statur ist nicht in Sicht.

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