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Italien vor der Wahl: Die ehrenwerte Gesellschaft von Siena

Die älteste Bank der Welt sorgte dafür, dass das Geld in dieser Stadt nie ausging. Das Pferderennen, die Parteien, die Bürger – alle profitierten. Aus und vorbei. Die „Banca Monte dei Paschi“ liegt darnieder, der Skandal dürfte Folgen für die italienische Parlamentswahl nächstes Wochenende haben.

Morgens um acht, die Welt in Siena ist schon nicht mehr in Ordnung. Da herrscht über Bergen von verlockendem Zuckergebäck am Mahagoni-Tresen des Caffè Nannini Trübe-Tassen-Laune. Cornetti mit Marmelade und Crème, Ricciarelli, Cantucci, Panforte, alles, was die Toskana an Stimmungsaufhellern zu bieten hat, und doch: bleierne Stille, untermalt vom Fauchen der Espressomaschine. Bis einer murmelt: „Jetzt bleibt uns nur noch der Tourismus.“ Entsetzlich, pflichtet der Nachbar bei: „Vorm Monte drängen sich die Gruppen und machen Katastrophenfotos, als wär’s das Wrack der Costa Concordia.“

„Monte“, das steht für Monte dei Paschi di Siena, die älteste Bank der Welt. Gegründet 1472 und nur einen Steinwurf vom Zuckerbäcker Nannini entfernt, ansässig im trutzigen Palazzo Salimbeni, einstmals Verwalter der Domänen der Maremma, der Vermögen von Burgherren und Edelwinzern – jetzt: in Trümmern. Eine Demütigung. Staatshilfen über vier Milliarden Euro, die ehemaligen Manager wegen krummer Geschäfte mit einem Bein im Knast, Siena knapp vor dem Ruin. Gestern, sagt eine der Kassandras im Caffè Nannini, haben sie ein Loch in die Wand einer Monte-Filiale in der Via Ricasoli gestemmt. „300 Euro Beute. 300 Euro! Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll.“

Obwohl: „Vielleicht wird der Monte ja nun endlich eine normale Bank“, äußert ein Anzugträger und stellt energisch die Cappuccinotasse ab. „Schluss mit der Gängelei durch die Partei. Wir konnten uns ja gar kein Geld auf dem freien Markt suchen.“ Wir? Mitglied der Geschäftsführung, kein Name. Er sagt ihn dann doch, der Name ist fast so alt wie der Monte, aber nicht zum Mitschreiben. Und guten Tag auch.

Stadt, Bank, Partei. Die Dreieinigkeit Sienas, das Triumvirat eines der letzten Paradiese Europas.

Seit Menschengedenken kommt das Geld vom Monte, wie die Bank hier nur genannt wird – und der Monte sorgte dafür, dass es den Sienesen an nichts mangelt, außer vielleicht am Buchstaben C, den sie partout nicht aussprechen können und nonchalant durch ein gehauchtes H ersetzen.

Ein Volk von Buchstabenjongleuren, Lebenskünstlern. Kunststück: Ein warmer Geldregen von zwei Milliarden Euro ging allein in den vergangenen zehn Jahren auf die Stadt mit ihren gerade einmal 55 000 Einwohnern nieder, und auf die Provinz, zu der Juwelen wie Pienza, Montepulciano, Montalcino und San Gimignano gehören. Ein weltweit einmaliges Ensemble aus zypressenbesetzten Hügeln, Klöstern, Kirchen, Geschlechtertürmen, Pici-Nudeln, Wildschweinbraten, schwarzen Trüffeln und erstklassigem Rotwein.

Der Sehnsuchtsort der deutschen Toskanafraktion, außerdem aber auch das Herz des linken Italien. Dafür, dass es ruhig und gleichmäßig schlug, sorgte neben dem Rotwein vor allem die Bank. Sie garantierte Arbeit und Wohlstand in einem perfekten Kreislauf, und damit das so blieb, brauchten Siena und die Provinz nur weiter PD zu wählen, die sozialdemokratische Partito Democratico, größte Nachfolgepartei der kommunistischen KPI. Die Stadt wählte die Partei, die Partei suchte die Bankiers aus, die Bankiers überschütteten Stadt und Partei mit Geld. Kein Zufall, dass bis vor kurzem ein Berlinguer im Verwaltungsrat der Bank saß, ein Sohn von Luigi Berlinguer, dem langjährigen Rektor der Universität Siena, Politiker und Cousin des legendären KPI-Führers Enrico Berlinguer. In Siena wurde ein Begriff geprägt, der den linken Filz auf den Punkt bringt: Nobiltà Rossa. Roter Adel.

„Das Lebensgefühl in Siena war: Sorgt euch nicht, sondern genießt das Leben, denn für uns sorgt der Monte.“ So formuliert es ein Universitätsprofessor. „Sicher, die Beziehung zwischen Stadt, Bank und Partei war inzestuös. Aber solange sie funktionierte, störte das keinen.“ Warum auch? Weit draußen, in einer grauen, hässlichen, feindseligen Welt, gab es Immobilienkrisen und Hedgefonds, gab es Banker, die erst gierig und dann pleite waren, und Sparer, die irgendwann unter der Brücke schlafen mussten. Weit draußen, nicht nur in China, mutierten Kommunisten zu den schlimmsten Ausbeutern, die man sich vorstellen kann. In Siena gab es zuallererst die 17 „Contraden“, Stadtviertel, mit Namen wie aus einem Fantasyfilm: „Drache“, „Welle“, „Einhorn“. Nur, dass alles echtes Mittelalter ist. Genau wie der Palio, das zweimal jährlich stattfindende Pferderennen auf der gigantischen Piazza del Campo. Erst später kam die Bank, und noch sehr viel später kam die Partei, bis alles zusammen ein Gesamtkunstwerk bildete, auf das der Rest Italiens mit neidvoller Bewunderung schaute.

Bis die Herren des Monte einen falschen Schritt machten. Sie wurden größenwahnsinnig, sie wollten aus der perfekten Bank in Siena einen Global Player machen, sie wollten von der Nobiltà Rossa zum internationalen Finanz-Jetset aufsteigen, und dafür warfen sie viel Geld, das ihnen nicht gehörte, zum Fenster raus: neun Milliarden Euro für die norditalienische Bank Antonveneta.

Die Zahlung erging bar an die spanische Santander, die ihrerseits Antonveneta erst Wochen zuvor erstanden hatte, allerdings für drei Milliarden weniger. Der Deal ereignete sich bereits 2007, jetzt ist er im Fadenkreuz der Ermittler. Denn das Geschäft erwies sich als ebenso dubios wie unvorteilhaft. Und die Monte-Manager verzockten sich noch weiter. Auf der Suche nach neuem Geld investierten sie in Derivate – und verloren noch einmal 700 Millionen Euro. Der Monte war die drittgrößte Bank Italiens und ein Trümmerhaufen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Bilanzfälschung, des Betrugs, der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Denn auch wenn die Geschäfte schlecht für die Bank liefen, könnten sie sich doch für die Manager ausgezahlt haben. Womöglich haben Käufer und Verkäufer beim Milliardengeschäft um Antonveneta den Mehrbetrag untereinander aufgeteilt, vielleicht verdienten die Monte-Männer auch an weiteren Geschäften. In Siena redet man schon von der „Fünf-Prozent-Bande“, so hoch soll der Anteil bei jedem Deal gewesen sein. Fünf Prozent, das wäre ein Albtraum für die PD. Fünf Prozent weniger Stimmen. Ausgerechnet wegen Siena zittern die Sozialdemokraten um ihren schon sicher geglaubten Sieg bei den Parlamentswahlen am 24. und 25. Februar. Mitten in den Wahlkampf platzte der Bankenskandal. Und mit ihm die „moralische Frage“, die sich in Italien stets für die Linke stellt. Weil die Linke sich der Konkurrenz moralisch überlegen fühlt. Was leicht fällt, solange die Konkurrenz Berlusconi heißt. Aber eine Bank an die Wand fahren, eine Stadt betrügen, gar den Palio aus Finanznot ausbremsen? Das darf nicht sein.

„Pest, Kriege, Hungersnöte“, zählt feierlich Mario Toti auf, alles das habe der Palio überlebt. Selbst die Umweltschützer, die das halsbrecherische Rennen als Tierquälerei verdammen, hätten ihm nichts anhaben können. „Jetzt geht es um Geld. Nur um Geld!“ Und doch. Als Capitano der „Contrada des Drachen“ ist Toti ein Meister der Selbstkontrolle, als pensionierter Arzt sowieso. Er hat in London, San Francisco, Afrika gearbeitet, Seuchen aller Art. Selbstironisch sagt Dottore Toti: „Meine Krankheit heißt Palio.“ Nie wollte er ganz weg aus Siena, immer kam er zurück, maximale Entfernung seiner Wohnung von der Piazza del Campo: 200 Meter. Einmal wohnte er direkt am Platz, ein Apartment ohne Aufzug, Blick auf den Palio, die schwitzenden Pferde, die hysterischen Jockeys, das rasende Volk. Das von den Contraden veranstaltete Pferderennen ist ein kollektiver Ritus, bei dem die religiöse Inbrunst tiefer ist als bei der Messe, und die Rivalität stärker als bei jedem Fußballderby. Stadt, Partei, Bank und Palio: Siena. Zusammengehalten durch die Contraden.

Heute Pizzaessen beim „Adler“, morgen Karaoke bei der „Welle“, nächsten Samstag Ausflug nach Caserta mit Capitan Totis „Drachen“. Von der Wiege bis zur Bahre ist das Leben der Sienesen in ihrem Geburtsviertel eingeteilt und geregelt, jeden Tag berichtet die Lokalzeitung auf zwei Seiten über die Contraden. Es gibt Aufnahme- und Abschiedsriten, nur der Wechsel ist nicht möglich, das wäre ein unerhörter Verrat. Die Contraden prägen ein starkes Zugehörigkeitsgefühl, sie drücken mit ihrer Sozialkontrolle die Kriminalitätsrate. Die Kehrseite davon ist eine anachronistische Zugbrückenmentalität. Und natürlich ein unentwirrbares Geflecht aus Seilschaften.

Woanders mag Blut dicker als Wasser sein, mögen Familienbande regieren. In Siena regieren die Contraden, und dicker als Wasser sind hier das Blut und der Schweiß der Pferde. Drei Standarten hütet Capitan Toti in seiner von Büchern und Antiquitäten überquellenden Wohnung, sie sind der größte Schatz. Aber der Schatz ist unvollständig. Die drei Banner sind die Trophäen von drei Palios, die der „Drache“ unter seiner Leitung gewann. Der vierte Sieg fehlt, sagt Mario Toti. Erst dann ist die Sammlung komplett. Und sein Leben als Capitano.

Monte hin oder her, dieses Jahr gibt die Bank pro Contrada nur noch 3500 Euro. Letztes Jahr waren es noch 15 000, vorher, schweigen wir lieber. Es ist nur Geld, sagt Toti tapfer. Seine Erfahrung sagt ihm: Vor einem Unglück, das nur Geld kostet, bitte schön den Hut ziehen. Soll der Monte schwanken und zittern, die Pferde werden über den Campo rasen wie eh und je. Und der Boden unter ihren Füßen wird fest sein.

Die Lage sei explosiv, sagt der Leiter der Staatsanwaltschaft. Explosiv für wen? Gab es Hintermänner in der Politik? Im Vatikan, wo der frühere Santander-Chef Ettore Gotti Tedeschi bis 2012 die Bank IOR leitete? Oder nur den Größenwahn des früheren Managements, allen voran des ehemaligen Monte-Chefs Giuseppe Mussari, der Ende Januar als einer der Hauptverdächtigen von seinem Posten als Vorsitzender des italienischen Bankenverbandes zurücktreten musste? Mussari, munkelt man in Siena, habe eigentlich noch Minister werden wollen. Die Buchhändler haben eine nicht autorisierte Biografie des ehrgeizigen Ex-Bankiers in ihre Schaufenster gelegt, „die sich liest wie Brechts ,Aufhaltsamer Aufstieg des Arturo Ui’“, bemerkt ein Kunde.

Es steht zum Beispiel darin, wie Mussari dem Sohn des legendären Palio-Jockeys „Aceto“ (Essig) eine Führungsposition im Monte verschaffte, obwohl der Mann zuvor angeblich vor allem Partys managte. Damals gefiel es Siena, dass der smarte Bankier sich sein eigenes Rennpferd hielt, ein Araber-Vollblut, ebenso nervös und unberechenbar wie der Besitzer selbst. Heute fühlt sich die Stadt von Mussari betrogen. „Der hatte nie ein Parteibuch“, versichert PD-Provinzsekretär Niccolò Guicciardini und sieht so aus, als müsste er sich ein „Gott sei Dank!“ verkneifen. Der rundliche Guicciardini ist Spross eines alteingesessenen Adelsgeschlechts, das schon vor 700 Jahren in der Toskana Politik machte, als es die Bank noch gar nicht gab, die Guicciardini jetzt quasi rund um die Uhr zum Einsatz zwingt. 36 Versammlungen hat die PD allein in den letzten zwei Tagen abgehalten, um die erboste Basis zu beruhigen.

„Dabei haben wir doch gar nichts damit zu tun“, beteuert der Sekretär. Er persönlich sowieso nicht. Der 28-Jährige führt erst seit einem halben Jahr die Partei in der Provinz – als der Skandal das erste Mal hochkochte, brauchte die PD dringend ein neues Gesicht.

Parteichef Pierluigi Bersani ruft jetzt öfter bei Guicciardini an, um neue Weisungen zu erteilen. Bersani ist Spitzenkandidat bei den Wahlen Ende des Monats, er gilt als Favorit, viele sehen in ihm schon Italiens nächsten Premier. Aber noch muss die Sache mit der Bank ausgestanden werden. Es kommen nach Siena nämlich nicht nur die Katastrophentouristen, es kommt vor allem Bersanis politische Konkurrenz. Die Linken wie der Sozialist Nichi Vendola und der grimmige Antimafia-Staatsanwalt Antonio Ingroia. Die Rechtsaußen wie Berlusconis Ex-Ministerin Giorgia Meloni, und die neuen Populisten wie der Wutbürger-Rattenfänger Beppe Grillo. Als Kleinaktionär führte Grillo das große Wort bei der Aktionärsversammlung, er empörte sich, der Monte-Skandal sei schlimmer als alles, was Italien in den vergangenen 20 Jahren erlebt habe. Das ist natürlich heillos übertrieben. Aber Grillo versteht sein Handwerk, er ist eigentlich Komiker. Wenn man durch die Provinz Siena gondelt, dann findet man mühelos jede Menge Leute, die verkünden, sie trauten niemandem mehr über den Weg außer Grillo.

Bei den Zuckerbäckern Nannini wählt keiner Grillo. Gespalten ist die Familie trotzdem. Firmenchef Alessandro, ein ehemaliger Rennfahrer, ist ein Anhänger von Silvio Berlusconi, er wollte vor zwei Jahren Bürgermeister von Siena werden, unterlag aber hoffnungslos dem Kandidaten der Linken. Heute sagt Nannini, er habe ja immer schon gewusst, dass das kein gutes Ende nehmen könne mit der Partei und der Bank. Bloß habe auf ihn ja keiner gehört.

Auch nicht seine große Schwester Gianna Nannini, die Rocksängerin, die Siena längst entflohen ist, aber immer noch gerne vorbeischaut im über hundertjährigen Caffè ihrer Familie. Gianna Nannini singt die neue Parteihymne der PD. Das Lied, mit dem die Partei, die gerade ihre Bank verliert, endlich wieder die Parlamentswahl gewinnen will. „Mi ricordo di te“, singt Nannini mit ihrer rauen Stimme und ihrem Sieneser C. „Ich erinnere mich an dich.“ Es ist ein Song über die Wurzeln, die Bodenständigkeit der italienischen Linken.

PD-Spitzenkandidat Pierluigi Bersani, der wackere Sohn eines Tankwarts, hört ihn bei jedem Wahlkampfauftritt. In letzter Zeit hat man das Gefühl, als würde Bersani am liebsten die Musik abstellen, die Hymne klingt auf einmal bedrohlich. Als ließe Siena die Partei nicht los.

Birgit Schönau

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