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Italiens Innenminister Matteo Salvini.

© AFP

Italiens Flüchtlingspolitik: Salvini bleibt hart

Italien zieht sich aus der Seerettungszone weiter zurück – und will das Dublin-Abkommen abschaffen.

„Als Minister und Vater danke ich der libyschen Küstenwache, die heute 820 Migranten gerettet und zurück nach Libyen gebracht hat“, erklärte Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega Nord am Sonntagabend. Damit werde die Tätigkeit der Schlepper unnütz, und zugleich könnten die „unkorrekten“ Interventionen der Schiffe von Nichtregierungsorganisationen (NGO) vermieden werden. Die 820 Flüchtlinge waren am Sonntag auf mehreren Schlauchbooten vor der libyschen Küste in Seenot geraten. Die italienische Küstenwache hatte die Notrufe empfangen, war aber nicht tätig geworden. Sie erteilte auch keine Erlaubnis an private Rettungsschiffe, die Flüchtlinge an Bord zu holen und nach Italien zu bringen.

Die Einsatzzentrale der Küstenwache in Rom hatte am Freitag alle NGO-Schiffe angewiesen, künftig die libysche Küstenwache um Hilfe und Zuweisung eines Hafens zu bitten, falls sie Flüchtlingen in der libyschen Seerettungszone zu Hilfe eilen. Diese Weisung ist von Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta bestätigt worden. Dennoch werde Italien seine Verpflichtungen zur Rettung von Flüchtlingen aus Seenot nicht vernachlässigen, versicherte sie. Die Anordnung beziehe sich ausschließlich auf das Gebiet nahe der libyschen Küste. Die libysche Küstenwache sei von Italien ausgerüstet und von italienischen Kollegen ausgebildet worden und habe „alle Fachkenntnisse und Mittel, um die Aufgabe zu erfüllen“. Diese Aussage wird freilich von vielen Experten und Hilfsorganisationen arg bezweifelt.

Das Mittelmeer ist in Rettungszonen aufgeteilt

Das ganze Mittelmeer ist in sogenannte „Search and Rescue“-Zonen (SAR-Zonen) aufgeteilt, in denen das jeweils zuständige Land für die Seerettungen verantwortlich ist. Die SAR-Zonen gehen weit über die eigenen Hoheitsgewässer hinaus. Weil das Bürgerkriegsland Libyen jahrelang keine Rettungsaktionen durchführte, wurden bis vor Kurzem rund 90 Prozent dieser Aktionen in der libyschen SAR-Zone von der italienischen Küstenwache durchgeführt oder zumindest von deren Einsatzzentrale aus koordiniert. Mit der Koordination einer Rettungsaktion wird laut internationalem Recht automatisch jenes Land für die Bereitstellung eines „sicheren Hafens“ zuständig, das die Aktion koordiniert hat – also bisher fast immer Italien. Unter der Regierung von Giuseppe Conte gibt Rom diese Verantwortung nun an die libyschen Behörden ab.

Gleichzeitig hat Salvini angekündigt, dass die italienische Küstenwache und Marine künftig wieder „näher an der italienischen Küste“ operieren werden. Das bedeutet, dass die Flüchtlingsboote in Zukunft einen sehr viel längeren Weg werden zurücklegen müssen, um von italienischen Schiffen gerettet und damit auch sicher nach Italien gebracht zu werden. Salvini ist am Montag zu einem offiziellen Besuch nach Tripolis geflogen, um sich mit Vertretern der provisorischen, von der Uno anerkannten Regierung von Präsident Fayez al Sarraj zu treffen.

Bei den Gesprächen mit al Sarraj und Innenminister Abdulsalam Ashour ging es in erster Linie um die Bekämpfung der illegalen Immigration und der Schlepperbanden. „Ich werde mit höchstem Einsatz die Freundschaft und die Kooperation unserer beiden Länder bekräftigen und vorantreiben, besonders bei der Migration“, twitterte Salvini. Durch diverse Vereinbarungen und mit hohen Geldzahlungen an die libyschen Behörden und an diverse Stadt- und Clan-Oberhäupter hatte die sozialdemokratische Vorgängerregierung unter Paolo Gentiloni bereits eine Reduktion der aus Libyen nach Italien gelangten Flüchtlinge und Migranten um 80 Prozent erreicht. Die neue Regierung will diese Hilfe an Libyen weiterführen; gleichzeitig sprach sich der italienische Innenminister für die Einrichtung von Asylzentren an den südlichen Grenzen Libyens aus.

Für Italien steht der Schutz der Außengrenzen im Vordergrund

Für Italien, wohin in den letzten Jahren über 600.000 Flüchtlinge und Migranten über das Mittelmeer gekommen sind, steht der Schutz der Außengrenzen und vor allem die Verteilung der Migranten innerhalb der EU im Vordergrund. Das war schon unter der alten Regierung so, und es ist mit der neuen Regierung von Giuseppe Conte nicht anders. Um von der heutigen Krise zu einer solidarischen und nachhaltigen europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik zu gelangen, müsse „in erster Linie die Immigration nach Europa neu geregelt werden“ – und erst dann könne man dazu übergehen, auch die Migration innerhalb Europas neu zu ordnen, heißt es in dem Papier, das die italienische Regierung für den kommenden EU-Gipfel vorbereitet hat.

Das zentrale Ziel der Regierung Conte ist, wie schon jenes der Regierung Gentiloni, die „Überwindung“ des Dublin-Abkommens. Das Prinzip, wonach das Ersteinreiseland das Land ist, in welchem das Asylverfahren durchgeführt wird, betrachtet Rom seit Jahren als ungerecht. „Wer in Italien ankommt, kommt in Europa an“, heißt die Devise der Regierung Conte. Und: „Die Pflicht, Menschenleben zu retten, darf nicht zur Verpflichtung führen, die Asylanträge für alle zu prüfen.“ Europa müsse bei der Verteilung der Flüchtlinge solidarisch sein.

Und bis sich die EU auf automatische Quoten einigt, scheint Rom auch nicht mehr gewillt, in andere EU-Länder weitergereiste Migranten wieder zurückzunehmen, wie dies der Dublin-Mechanismus eigentlich vorschreiben würde. Angesichts der seit Jahren ausbleibenden Solidarität der meisten EU-Partner stelle die Weiterreise der Flüchtlinge in andere EU-Länder eine Art Überdruckventil für Italien dar. „Wir können keinen Einzigen mehr aufnehmen“, sagte vor einigen Tagen Innenminister Matteo Salvini zu der Forderung, weitergereiste Flüchtlinge zurückzunehmen.

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