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Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte.

© REUTERS

Italiens Premier in der Corona-Krise: Conte gewinnt an politischem Gewicht

Der italienische Ministerpräsident Conte agiert abwägend und zeigt spät entdeckte Qualitäten. Nun plant er für die Öffnungsphase seines Landes.

Italien öffnet wieder, teilweise: Am morgigen Montag werden die Schlüsselindustrien des Landes die Produktion aufnehmen dürfen, Autos, Mode und Landmaschinen, dazu Bau- und verarbeitende Industrie. Zugleich können die Italienerinnen und Italiener endlich wieder etwas mehr frische Luft schnappen. Ein Spaziergang darf wieder weiter als bis zum nächsten Supermarkt führen – wie in Deutschland dürfen nicht mehr als zwei Erwachsene oder die engere Familie unterwegs sein – und auch Sport muss nicht mehr vorm eigenen Wohnblock stattfinden.

Mitte Mai öffnen auch die Museen wieder

Ob die Parks wieder öffnen dürfen, ist noch unklar. Es gibt Zweifel, dass dort die gefürchteten Menschenaufläufe zu verhindern wären.

In allen Details verkünden will Ministerpräsident Giuseppe Conte dies alles erst an diesem Sonntag, über die groben Züge der „fase due“, der zweiten Phase nach dem Shutdown, berichteten Italiens Medien aber bereits am Samstag. Einige Freiheiten mehr werden demnach ab 4. Mai dazukommen: Dann soll es wieder möglich sein, in die Ferienwohnung am Meer oder zur Verwandtschaft zu kommen – Abstandsregeln und Maskenpflicht in geschlossenen Räumen vorausgesetzt.

Die Grenzen der eigenen Region, vergleichbar den Bundesländern, dürfen dann wieder überschritten werden. Damit würden zumindest für das heikle erste Maiwochenende Freitag bis Sonntag dieser Woche noch die strengen Ausgangssperren gelten.

Selbst die Kultur macht einen ersten Schritt, zwei Wochen später: Ab 18. Mai will Kulturminister Dario Franceschini Museen, Bibliotheken und Archive öffnen – auch der Vatikan lässt dann angeblich wieder den Besuch seiner Sammlungen zu.

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Was jetzt bekannt wird, wirft auch ein Licht auf die Arbeitsweise der Regierung und vor allem des Premiers Giuseppe Conte: eher abwägend, tastend und stets bereit, die Lage neu einzuschätzen. Vermutlich behält er sich das bis zur offiziellen Bekanntgabe der nächsten Schritte am Sonntagabend vor.

Noch vor wenigen Tagen hatte er dem Leiter seiner Task Force für die Öffnungsphase widersprochen. Das Team hatte sich für das Wiederanfahren der ersten Industrien ausgesprochen. Ihm scheine das noch zu früh, sagte Conte. Gleichzeitig warnte er vor den „unerträglichen“ wirtschaftlichen und sozialen Kosten eines langen Shutdowns und bereitete seine Landsleute auf einen unvermeidlichen Anstieg der Infektionszahlen durch eine Öffnung vor.

Nun hat er sich offenbar, quasi im Dauerdialog mit dem Koalitionspartner, Gewerkschaften und Unternehmen, der Öffnung am Montag angeschlossen.

Keine Hausmacht, unerfahren - das war gewollt

Contes vorsichtiges Fahren auf Sicht, sein Verzicht auf pompös vorgetragene Gewissheiten, das Sich-korrigieren-Können scheinen sich in der Krise auch für ihn als nützlich zu erweisen. Der Mann, der vor zwei Jahren als Verlegenheitslösung von der Wahlsiegerin „Fünf-Sterne-Bewegung“ aus dem politischen Nichts in den Palazzo Chigi geschoben wurde, hat in der Krise Statur gewonnen. Damals war einer wie er, kein Parteibuch, politisch unerfahren und erwartbar schwach, das Zugeständnis der „Sterne“, um Matteo Salvinis Lega aus dem Rechtsbündnis unter Führung Silvio Berlusconis heraus in eine Koalition zu lotsen.

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Salvinis Rechnung ging auf, zum Schaden der Sterne. Hinter dem dröhnenden Salvini schien der damals 53-jährige Juraprofessor Conte wie verschwunden. Sein Innenminister Salvini, dessen immer populärer werdende Antimigrations- und Starker-Staat-Politik und die Tweet-Sperrfeuer seiner gut geölten Social-Media-Maschine kehrten das Wahlergebnis binnen Kurzem um; in den Umfragen erreichte nun Salvinis rechtsradikale Lega die Werte der Sterne, die ihrerseits ins Bodenlose fielen.

Doch dann verspekulierte sich der starke Mann der Regierung. Salvini stieg aus, in der Hoffnung, den Umfragenhöhenflug in einen Sieg in Neuwahlen umzumünzen. Stattdessen begann Contes Aufstieg. Bis dahin war der Premier nicht mit Einwänden gegen seinen Vize aufgefallen, nicht einmal gegen dessen Rechtsbrüche – die Sperrung der Häfen für Schiffbrüchige trug ihm ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung ein.

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Katholik aus dem Süden, christdemokratisch geschult

Nun rechnete Conte im Parlament hart mit ihm ab. Und konnte kurz danach jenes neue Bündnis schmieden, mit dem Salvini nicht gerechnet hatte – das mit dem sozialdemokratischen PD. Das fragile Bündnis der misstrauischen Partner - vom PD hat sich inzwischen ein Splitter namens Italia Viva gelöst - hält der fromme Katholik aus Apulien seither erstaunlich erfolgreich zusammen. Schon vor der Krise wurde Conte sichtbar – als politischer Seiltänzer wie aus der Schule der untergegangenen Democrazia Cristiana. Einige Male hat er so die Koalition ausbalanciert, den Bruch abgewendet.

So schlug er sich in Brüssel, auf der Linie der Fünf Sterne, hartnäckig bis zum Veto für ein gesamteuropäisches Pandemie-Budget. Dass er aus dem EU-Videogipfel dieser Woche mit ersten Zugeständnissen kam, besänftigte wiederum den PD, der lieber beim Europäischen Stabilitätsmechanismus zugegriffen hätte.

Abwägen, korrigieren, zusammenhalten: Contes spät entdeckte – entwickelte? – Qualitäten dürften noch eine Zeit lang nötig sein. Die Ansteckungszahlen sind noch immer hoch, die Sterblichkeit durch die Pandemie sinkt, bleibt aber dramatisch und hat offiziell bisher fast 26.000 Menschenleben gekostet. Die nationale Statistikbehörde rechnet mit doppelt so vielen Toten. Italien ist, ersten Öffnungen zum Trotz, längst nicht übern Berg.

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