zum Hauptinhalt
Immer mehr Menschen im Jemen - wie hier in der Provinz Hajjah - leiden an Unterernährung.

© Eissa Alragehi/REUTERS

Update

Jahresbericht der Welthungerhilfe: „Fast 17 Millionen wissen nicht mehr, wie sie sich ernähren sollen“

Der Ukraine-Krieg hat den weltweiten Hunger noch einmal verschärft. Besonders zugespitzt hat sich nach Angaben der Welthungerhilfe die Lage am Horn von Afrika.

Die Hauptursachen für den weltweiten Hunger waren im vergangenen Jahr die immer gravierenden Auswirkungen des Klimawandels und die steigende Anzahl bewaffneter Konflikte. Das geht aus dem Jahresbericht 2021 der Welthungerhilfe hervor, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Demnach leiden weltweit gegenwärtig etwa 811 Millionen Menschen unter Hunger.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Bereits vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind im vergangenen Jahr dem Bericht zufolge die Preise für Lebensmittel weltweit teils um 28 Prozent gestiegen. Durch den Krieg in der Ukraine hat sich die Situation weiter zugespitzt.

„Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine wirkt jetzt wie ein erneuter Brandbeschleuniger“, sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe, Marlehn Thieme, am Dienstag bei der Vorstellung des Berichts. Von Afghanistan bis Zimbabwe kämpften die Menschen mit stark stark steigenden Nahrungsmittelpreisen. Wenn man wie im Fall von knapp zwei Milliarden Menschen weltweit mit nur drei Dollar pro Tag zum Überleben auskommen müsse, dann bedeute es eine Katastrophe, wenn das Brot plötzlich den doppelten Preis habe, sagte Thieme.

Zugespitzte Lage in Somalia, Kenia und Äthiopien

Nach ihren Worten hat sich besonders am Horn von Afrika die Lage zugespitzt. In Somalia, Kenia und Äthiopien herrsche die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. „Fast 17 Millionen Menschen wissen nicht mehr, wie sie sich ernähren sollen“, sagte Thieme.

Präsidentin Thieme: G7-Zusagen reichen nicht aus

Beim G7-Gipfel in Elmau hatten sich die führenden westlichen Industriestaaten verpflichtet, weitere 4,5 Milliarden US-Dollar für die weltweite Ernährungssicherheit bereitzustellen. Stattdessen benötige die Weltgemeinschaft allerdings zusätzlich 14 Milliarden US-Dollar, um tatsächlich 500 Millionen Menschen bis 2030 vom Hunger zu befreien, wie es die G7-Staaten versprochen hatten, erläuterte Thieme.

Die Präsidentin der Welthungerhilfe verwies auf erste vorsichtige Schätzungen, nach denen wegen der Getreideknappheit in der Folge des Ukraine-Kriegs weltweit weitere 50 Millionen Menschen vom Hunger bedroht sein könnten. Der Generalsekretär der Hilfsorganisation, Mathias Mogge, bezeichnete die von immer mehr Ländern verhängten Exportstopps für Nahrungsmittel als zusätzliche Gefahr. „Das führt zu einer weiteren Verknappung“, so Mogge.

Eine weitere Ursache für den weltweiten Hunger ist nach seinen Worten die Corona-Pandemie, die in vielen Ländern zu einer zusätzlichen Staatsverschuldung geführt habe. Man dürfe nicht erwarten, dass das Hungerproblem aus der Welt wäre, wenn Russland die Blockade bei der Ausfuhr von ukrainischem Getreide im Schwarzen Meer beenden würde, sagte er.

Im Südsudan fehlt Geld für die Versorgung von 1,7 Millionen Hungernden

Gegenwärtig können rund 22 Millionen Tonnen Getreide nicht aus der Ukraine exportiert werden. Welche Auswirkungen dies gemeinsam mit den Folgen des Klimawandels hat, lässt sich am Beispiel des Südsudan beobachten. Dort mussten wegen der gestiegenen Nahrungsmittelpreise und der hohen Transportkosten 1,7 Millionen Hungernde von der Verteilung von Nahrungsmitteln ausgenommen werden, weil für deren Versorgung das Geld fehlt, so Mogge. 7,7 Millionen Menschen befänden sich in dem Land in einer „akuten Hungerkrise“, 1,3 Millionen Kinder seien unterernährt. Zunehmend mussten Schulen aus den Programmen für die Schulspeisung herausgenommen werden, weil nicht mehr ausreichend Mittel für die Finanzierung zur Verfügung stehen, sagte er.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Dramatisch ist die Lage laut dem Jahresbericht der Welthungerhilfe neben dem Südsudan auch im Jemen und in Afghanistan. Nachdem die radikal-islamistischen Taliban dort im vergangenen Jahr erneut die Macht übernommen haben, setzt die Welthungerhilfe weiterhin ihre Arbeit fort. Insgesamt wurden 2021 in dem Land 588.000 Menschen von der Hilfsorganisation unterstützt, dabei stand ein Finanzvolumen von 6,69 Millionen Euro zur Verfügung. Nach der Machtübernahme der Taliban ruhten die meisten Entwicklungsprojekte der Organisation, die sich vor Ort auf die Nothilfe konzentrierte.

Als Beispiel wird in dem Bericht die Versorgung von 6500 besonders bedürftigen Familien in der Provinz Nangarhar mit Lebensmitteln wie Mehl, Öl, Hülsenfrüchten und Salz erwähnt. Im vergangenen November wurde die Hilfe auf 10.500 Familien ausgeweitet. In Afghanistan ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf Nothilfe angewiesen.

„Weckruf gegen den Klimawandel"

Die zahlreichen Notlagen seien ein „Weckruf, endlich die Anstrengungen gegen den Klimawandel zu verstärken“, heißt es in dem Bericht. Nach den Worten des Generalsekretärs Mogge treffen die gestiegenen Nahrungsmittelpreise „diejenigen am härtesten, die ohnehin zu den Ärmsten gehören“. Millionen Menschen stünden „am Rande einer Hungersnot, denn die Familien haben keinerlei Ressourcen mehr“.

Im Rückblick auf das vergangene Jahrzehnt zieht die Organisation, die im vergangenen Jahr rund 16,6 Millionen Menschen in 36 Ländern unterstützte, eine ernüchternde Bilanz: Bis 2014 waren kontinuierliche Verbesserungen in der Hungerbekämpfung zu verzeichnen, doch seither kehrt sich der Trend um.  Extreme Armut, Kindersterblichkeit und Mangelernährung nehmen nach der Einschätzung der Hilfsorganisation immer stärker zu.

Insgesamt förderte die Welthungerhilfe im vergangenen Jahr 526 Auslandsprojekte mit einem Volumen von 259,9 Millionen Euro. Der Großteil des Fördervolumens - 190,5 Millionen Euro – floss in Projekte in Afrika. Neben den Ländern am Horn von Horn von Afrika gehören dabei auch Mali und Niger zu den Schwerpunkten.

Mehr Spenden im Jahr 2021

Im zweiten Jahr der Corona-Pandemie ist die Spendenbereitschaft der Deutschen derweil wieder gewachsen. Im vergangenen Jahr erhielt die Welthungerhilfe 77,5 Millionen Euro an Spenden. Das waren elf Prozent mehr als im Vorjahr. Wenn man die Zuschüsse der öffentlichen Geber in Höhe von 229 Millionen Euro hinzurechnet, dann kommt man für 2021 auf das höchste Ergebnis, das die Welthungerhilfe bislang erreicht hat.

„Sehr kritisch“ werde indes der Entwurf für den Haushalt des Entwicklungsministeriums für 2023 bewertet, der weniger Mittel für die Hungerbekämpfung vorsehe, so Mogge.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false