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Stolpersteine (hier in Osnabrück) erinnern an rund 800 Orten an Nazi-Opfer.

© dpa

Update

Jahrestag der Reichspogromnacht: Unbekannte reißen in Greifswald sämtliche Stolpersteine aus

Zehn Stolpersteine erinnern in der Hansestadt an jüdische Mitbürger. In der Nacht zum Jahrestag der Pogromnacht brachen vermutlich Rechtsextremisten sie aus dem Pflaster.

In der Nacht zum Gedenktag an die Reichspogromnacht haben Unbekannte in Greifswald sämtliche Stolpersteine aus dem Boden gehebelt. Die zehn quadratischen Gedenktafeln aus Messing, die im Stadtgebiet in den Gehweg eingelassen sind, erinnern an jüdische Mitbürger, die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden.

Bürger hatten die Stadtverwaltung am heutigen Freitagmorgen auf die Schändung aufmerksam gemacht. Die informierte daraufhin die Polizei. Der Staatsschutz habe inzwischen die Ermittlungen aufgenommen, sagte ein Polizeisprecher. Wegen des geschichtsträchtigen Datums werde ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen. Der Staatsschutz der Polizeiinspektion Anklam ermittelt.

Der Präsident des Polizeipräsidiums Neubrandenburg, Knut Abramowski, sprach von einer „widerwärtigen Tat“ und setzte für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, eine Belohnung von 2.500 Euro aus. „Ich verurteile diesen hinterhältigen Anschlag aufs Schärfste“, sagte Abramowski. Auch Politiker äußerten sich schockiert über die Tat. „Es ist besonders beschämend, wenn so etwas ausgerechnet am Jahrestag der Pogromnacht geschieht“, sagte der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Norbert Nieszery. Von einer „pietätlosen Schändung“, die die Opfer des NS-Regimes verhöhnt, sprach der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Wolf-Dieter Ringguth.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten Nationalsozialisten Synagogen in ganz Deutschland in Brand gesteckt. Dieser Tage gedenken viele Menschen des Geschehens vor 74 Jahren.

Der Oberbürgermeister der Hansestadt, Arthur König, sagte zu, alles dafür zu tun, um die Täter zu ergreifen. "Menschen, die bis heute nicht wahrhaben wollen, dass die Jüdischen Mitbürger der Zeit des Nationalsozialismus vernichtet wurden, werden nicht die Oberhand gewinnen", schrieb er in einer Mitteilung.

Die Schändung ist nicht die erste ihrer Art

Für die Verlegung der Gedenksteine gründen sich in den jeweiligen Gemeinden meist private Initiativen. Der Kölner Künstler Gunter Demnig fertigt die Messingquader, und graviert die Namen, Lebensdaten und den Todesort in die Oberseite. Dann verlegt er sie – meist im Rahmen einer Feierstunde – in das Straßenpflaster. In Greifswald ergriff die Evangelische Studentengemeinde die Initiative. Seit Juni 2008 erinnern hier Stolpersteine an elf jüdische Mitbürger.

Die Initiative trägt die Kosten des Projekts. Bürgermeister König sagte, gemeinsam mit den Initiatoren des Projektes werde die Stadtverwaltung "eine pragmatische Lösung finden", um die Stolpersteine zu ersetzen.

Die Schändung von Greifswald ist nicht die erste ihrer Art: Erst im September hatten vermutlich Neonazis in der nahen Küstenstadt Wismar sämtliche Stolpersteine mit Stahlplatten überklebt, in die Namen von Wehrmachtssoldaten eingraviert waren. In Wismar beobachten Kenner eine vitale rechtsextremistische Szene. Die Universitätsstadt Greifswald ist bisher nicht derart aufgefallen. Auch an anderen Orten schänden immer wieder Unbekannte Stolpersteine.

Demnig sagte Zeit Online, im Laufe der Jahre seien bisher etwa 100 Stolpersteine von Unbekannten herausgerissen worden. Genau am Gedenktag der Reichspogromnacht sei dies noch nicht geschehen. "Das ist eine absolute Premiere", sagte Demnig und sprach von einer gezielten Aktion. Seinen Angaben nach hat er bisher etwa 38.000 Stolpersteine in zwölf Staaten Europas verlegt. In Deutschland haben sich bisher 802 Kommunen beteiligt.

Quelle: ZEIT ONLINE, dapd, tst

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