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Politik: Jammernde Jugend

POLITIK UNTER 30

Von Christoph Amend

Wenn die Jugend ein schönes Mädchen wäre, wie müsste man sich ihr Leben vorstellen? Sie wurde lange Zeit begehrt; man schickte Liebesbotschaften auf ihr Handy, doch sie schrieb selten zurück. Sie lehnte an der Wand, lächelte mysteriös: Finde heraus, was mein Geheimnis ist. Jung sein hob, ohne weiteres Zutun, den eigenen Wert, und niemand wusste das besser als die Jugend selbst.

Doch auch für schöne Mädchen kommt irgendwann der Punkt, an dem es plötzlich nicht mehr nur darum geht, begehrenswert zu erscheinen, nicht mehr nur darum, welche Marken, sondern welche Werte einem wichtig sind. Und wem man seine Stimme gibt, damit die eigenen Interessen in Parlamenten vertreten werden.

Es ist nicht mehr so leicht, jung zu sein zurzeit: Die Arbeitslosigkeit erreicht erstmals die Akademiker unter 30 Jahren, die Altersversorgung steht in den Sternen, und auf das Gefühl, nicht mehr auf der Gewinnerseite der Gesellschaft zu stehen, hat einen auch niemand vorbereitet. Klare, mitunter bittere Entscheidungen sind zu treffen. Und jetzt auch noch politische – die Wahl rückt näher. Verführerisch, nun das alte Klagelied anzustimmen: Kein Wunder, dass die Jugend die Politik ablehnt. Es hört ihr doch keiner zu! Da muss man Verständnis haben!

Nur noch vier Wochen bis zur Wahl, und die Shell-Studie hat ermittelt, dass gerade mal ein Drittel der Jungwähler Politik für wichtig hält. Aber man muss gar nicht nur auf Zahlen schauen, um zu verstehen, wie routiniert das Rührstück „Die Unverstandenen“ zwischen Unter-30- Jährigen, Politik und Medien vorgetragen wird. Eine Fernsehdiskussion vor zwei Tagen: Es treffen schuldbewusste Politiker wie Angela Merkel oder Claudia Roth auf selbstbewusste Jungwähler. Der Tenor der Sendung ist nach wenigen Minuten angestimmt. Die Politiker sind die Bösen, die Jungen sind die Guten.

Sie würden sich ja gerne politisch engagieren, behaupten die Guten. Dann sagen sie Sätze, die in Ihrer Floskelhaftigkeit selbst von den langweiligsten Parteienvertetern kaum zu überbieten wären: Die Politiker sprechen nicht unsere Sprache. Und: In einer Partei müssten wir uns verbiegen. So kommt die Runde zu dem Schluss, die Politik sei selbst schuld, wenn die U30 nicht an die Urne will.

Offenbar haben diese Jungen noch nicht gemerkt, dass sie nicht mehr als Avantgarde wahrgenommen werden, als hoffnungsschimmernde Zukunft, sondern als immer kleinere Minderheit in einer Mehrheitsdemokratie. Von Jahr zu Jahr werden die Jungen weniger, weil die Gesellschaft immer älter wird. Im Jahr 2040 wird jeder zweite Erwachsene älter als 55 sein, und nicht nur die Politik kann die wenigen Jungen vernachlässigen. Auch die Unterhaltungsindustrie hat festgestellt, dass die Über-30-Jährigen mittlerweile die wichtigere Zielgruppe sind.

Unsere schnell alternde Gesellschaft entwickelt bereits ein gespanntes Verhältnis zur Jugend, dessen Schärfe zunehmen wird. Denn einerseits wird ihre Faltenlosigkeit und Unbekümmertheit verehrt, andererseits steigt im gleichen Maß die Skepsis und mit ihr das Mehrheits- und Machtbewusstsein der Älteren. Viele 60-Jährige wollen sich die Welt nunmal nicht von 30-Jährigen erklären lassen.

Für die Jungen wird das heißen: Die Politik braucht sie weniger, als die Jungen die Politik brauchen, um dort für ihre Interessen zu kämpfen, zu beweisen, dass ihre Interessen oft auch die des Gemeinwohls sind. Denn das ahnen die Älteren ja, dass der Egoismus einer alternden Gesellschaft am Ende allen schadet.

Die Ausgangslage für die Jungen, sich einzumischen, ist gar nicht schlecht. Wo kann man schneller vorwärts kommen als in der Politik? Katherina Reiche oder Matthias Berninger können das bestätigen. Und vielleicht wirkt die momentane wirtschaftliche Depression als Katharsis.

So oder so ist für die Jungen die Zeit der Posen vorbei, sie müssen sagen, was sie wollen und wie. Selbstmitleid über ihre eigene Lage steht der Jugend jedenfalls nicht, sie steht ihr auch nicht zu. Und was den 22. September betrifft: Dies ist eine prima Gelegenheit. Zur Wahl steht, zumindest mit den beiden Kanzlerkandidaten, die Generation ihrer Eltern. Und wann im Leben kann man sich die schon mal selbst aussuchen.

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