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Japan-Tagebuch: "In Fukushima gibt es schöne Reiseziele"

Ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima bemüht sich die japanische Regierung, das Ereignis herunter zu moderieren. Unsere Autorin Ulrike Scheffer berichtet von einer Reise durch ein verunsichertes Land.

Fukushima ist ganz weit weg. Ausgerechnet in Japan. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls die Regierung in Tokio. Sie hat Journalisten aus acht Ländern eingeladen, um ihre Bilanz der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe des vergangenen Jahres zu erläutern. China, Indien und Korea sind vertreten, Indonesien, Großbritannien und Al Dschasira aus Katar. Als deutsches Medium ist der Tagesspiegel exklusiv mit von der Partie. Schon am ersten Tag wird eines klar: Die Verantwortlichen hier halten den Atomunfall in Fukushima für weit weniger gefährlich als das Ausland. Ein einmaliges Ereignis, das längst unter Kontrolle ist. Am offensten formuliert das Noriyuki Shikata aus dem Büro des Premierministers. 18.000 Menschen seien am 11. März 2011 durch die Flutwelle umgekommen und kein einziger durch den Unfall im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi, sagt er.

Auch die Tatsache, dass in einigen Gebieten außerhalb der 20-Kilometer-Evakuierungszone weiterhin eine erhöhte radioaktive Strahlung gemessen wird, sieht er gelassen. „Manche Wissenschaftler glauben, dass der psychische Stress, verursacht durch die Angst vor einer Verstrahlung, viel mehr Schaden anrichtet als die Strahlung selbst.“ Denn die sei nicht dramatisch hoch. Fakt ist, dass der bisherige Grenzwert von einem Millisievert pro Jahr in Fukushima-Stadt um ein Vielfaches überschritten wird, wie Messungen von Greenpeace ergeben haben. Doch die Regierung beruft sich auf Wissenschaftler, die bis zu 100 Millisievert für vertretbar halten und hat den Grenzwert kurzerhand auf 20 Millisievert pro Jahr angehoben. Damit sind die 300.000 Einwohner in Fukushima-Stadt jetzt im „grünen Bereich“.

Selbstkritik gab es allerdings auch, an diesem Montag in Tokio. Politik und Atomwirtschaft seien in der Vergangenheit zu eng verwoben gewesen, heißt es gleich bei mehreren Regierungsstellen. Das werde sich ändern. Von einem Atomausstieg will man dagegen nichts mehr wissen. Der zur Zeit der Katastrophe amtierende Premierminister Naoto Kan hatte im vergangenen Jahr noch gesagt, die Atompolitik müsse überdacht werden. Sein Nachfolger Yoshihiko Noda gilt aber als Verfechter der Technologie, weshalb die Devise nunmehr lautet: „Ohne die Atomenergie geht es nicht.“ Erneuerbare Energiequellen sollen zwar ausgebaut werden, wirklich ernst nimmt sie hier aber offenbar kaum jemand. Ob die Bevölkerung den neuen Kurs, der ganz der alte ist, mitträgt, wird sich zeigen. Oder auch nicht. Die Regierung hat zwar angekündigt, die Bürger an der Entscheidung über die künftige Energiepolitik zu beteiligen, doch mehr als einige öffentliche Anhörungen wird es wohl nicht geben. Für ein Referendum sei die Frage einfach zu komplex, sagt Premier Nodas Mitarbeiter Noriyuki Shikata. So etwas habe in Japan außerdem keine Tradition.

Ulrike Scheffer
Ulrike Scheffer

© Tsp

Keine neuen Energiequellen, keine neuen Politikformen, das klingt nicht gerade nach Aufbruch. Dabei steht doch „die Wiedergeburt Japans im 21. Jahrhundert“ bevor, wie es in einem Regierungspapier zu dieser Journalistenreise heißt. Etwas mehr Experimentierfreude hätte man da schon erwartet. Das sehen auch die meisten Journalisten aus den anderen Ländern so – die zur Atompolitik im Übrigen ebenso viele kritische Fragen stellen, wie wir es in Deutschland tun.

Japan, das haben wir heute noch erfahren, will im 21. Jahrhundert stark auf Tourismus setzten. Auch in der Region Fukushima gebe es sehr schöne Reiseziele, sagt ein Vertreter der staatlichen Tourismusagentur am Montag bei einem Vortrag und schaut dann fragend in die Runde. „Aber das Image von Fukushima ist wohl erst einmal zerstört, oder?“ Kein Widerspruch. Welche Sehenswürdigkeiten sich für eine Vermarktung besser eignen, dazu morgen mehr.

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