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Japans neuer Premier Suga muss die Beziehungen zu China und den USA pflegen, ohne sich in deren Streit reinziehen zu lassen.

© Nicolas Datiche/Pool via REUTERS

Japan unter neuer Führung: Der geopolitische Spagat wird schwieriger

Shinzo Abe hielt Japans Beziehungen zu den USA und zu China in der Balance. Warum sein Nachfolger Yoshihide Suga es schwerer haben wird. Ein Gastbeitrag.

- Minxin Pei ist Professor of Government am Claremont McKenna College und Non-Resident Senior Fellow beim German Marshall Fund of the United States.

Der unerwartete Rücktritt des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe aus gesundheitlichen Gründen hat viele Fragen über das Vermächtnis des am längsten regierenden Ministerpräsidenten Japans aufgeworfen. Eine davon ist: Kann sein Nachfolger Yoshihide Suga Abes geopolitischen Balanceakt fortsetzen - jetzt, da die Spannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten eskalieren.

Die USA und China sind für Japans Frieden und Wohlstand von entscheidender Bedeutung. Amerika ist Japans Sicherheitsgarant und zweitgrößter Handelspartner, während China sein größter Handelspartner und Nachbar ist. Nachdem Abe im Dezember 2012 erneut zum Regierungschef gewählt wurde, hat er die Beziehungen Japans zu beiden Ländern geschickt gehandhabt.

Abe gab sich viel Mühe, US-Präsident Donald Trump wohlgesonnen zu stimmen, sogar als Trump behauptete, dass der amerikanisch-japanische Handel „nicht fair und offen“ sei, und verlangte, dass Japan seinen Beitrag zu den Kosten für die amerikanischen Truppen im Land vervierfachen müsse. Abe schloss dennoch ohne viel Aufhebens den chinesischen Telekommunikationsriesen Huawei vom Aufbau des japanischen 5G-Netzes aus und erwies Trump so einen Gefallen.

Gleichzeitig pflegte Abe auch die Beziehungen zum chinesischen Präsidenten Xi Jinping und reiste im Oktober 2018 zum ersten chinesisch-japanischen Gipfel seit sieben Jahren nach Peking. Da sich die Beziehungen zwischen den USA und China im freien Fall befinden, ergriff Xi Abes Friedensangebot und plante für April 2020 einen Staatsbesuch in Japan, der der erste seit 2008 gewesen wäre. Der Besuch wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben.

Für Suga wird es schwieriger werden, im Konflikt zwischen den USA und China nicht Partei zu ergreifen. Schon bald wird er eine Entscheidung über den verschobenen Staatsbesuch von Xi treffen müssen. In Sugas Liberaldemokratischer Partei stößt der Besuch auf großen Widerstand, seit die chinesische Regierung ein drakonisches Sicherheitsgesetz in Hongkong erlassen hat. Ein fernsehgerechter Staatsbesuch in Japan wäre ein großer Erfolg für Xi, der allzu gern beweisen möchte, dass die Regierung Trump daran scheitert, China zu isolieren.

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Chinas Drängen einen neuen Termin für den Besuch zu vereinbaren, wird Suga in eine Zwickmühle bringen. Den Wünschen Chinas nachzukommen, würde ihn im eigenen Land politisches Kapital kosten, doch eine Absage des Besuchs würde Xi demütigen und den sino-japanischen Beziehungen schaden. Das Einzige, was Japans neuer Ministerpräsident tun kann, ist, den Besuch mit allen möglichen Entschuldigungen so lange wie möglich hinauszuschieben.

Der chinesisch-japanische Gipfel ist ein Symbol. Zwei andere Konflikte zwischen den USA und China bergen aber größere Sprengkraft für Japan. Erstens werden die USA Japan auffordern, die Beschränkungen für Schlüsseltechnologien, die es an China liefert, zu verschärfen. Japan investiert mehr als 38 Milliarden Dollar direkt in China, fast 14 000 Firmen sind dort tätig. Es wäre also wirtschaftlich ruinös und diplomatisch kostspielig, den US-Sanktionen gegen China voll zu entsprechen.

Niemand weiß, wie Suga, der in den vergangenen acht Jahren Abes Kabinettssekretär und engster Mitarbeiter war, es den USA in der Technologiefrage recht machen kann, ohne China zu verärgern, oder umgekehrt.

Auch in Sicherheitsfragen wird Suga es viel schwerer haben, sich neutral zu verhalten. Als Mitglied des so genannten „Quad“, einer indopazifischen Sicherheitsgruppe, der auch Australien, Indien und die USA angehören, wird sich Japan zu den Appellen der USA verhalten müssen, öfter und in größerem Umfang an Marineübungen teilzunehmen, um Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer anzufechten.

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So beteiligte sich etwa im vergangenen Jahr ein japanischer Flugzeugträger an den Marineübungen unter Führung der USA in von China beanspruchten Gewässern. Darauf folgte keine starke Reaktion aus China, da sich die bilateralen Beziehungen der beiden Länder gerade verbesserten. Aber das Reich der Mitte könnte Japan attackieren, wenn die von Abe eingeleitete Annäherung im Sande verläuft und Suga in den Streitigkeiten um das Südchinesische Meer stärker mit den USA zusammenarbeitet.

Eine Sache, die die chinesisch-japanischen Beziehungen in den nächsten fünf bis sieben Jahren völlig zerstören könnte, wäre die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf japanischem Boden. Die Strategen im Pentagon sind bestrebt, mächtige Offensivwaffen näher am chinesischen Festland zu positionieren, Japan wäre ideal.

(Der Text wurde aus dem Englischen von Sandra Pontow. Copyright: Project Syndicate, 2020. www.project-syndicate.org)

Die Raketen befinden sich noch in der Entwicklung. Aber sobald Amerika ausreichende Mengen produziert hat, ist schwer vorstellbar, dass es Japan nicht drängen wird, die Stationierung der Raketen zu erlauben. Sollte Japan zustimmen, könnten seine Beziehungen zu China die schlimmste Krise seit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern im Jahr 1972 erleben.

Natürlich sind weder Abe noch Suga für diese Schwierigkeiten verantwortlich. Sie verdeutlichen jedoch einmal mehr die missliche Lage eines Landes, das zwischen zwei geopolitischen Giganten eingezwängt ist, die sich duellieren - und das Ausmaß der diplomatischen Herausforderung, vor der Japans neuer Ministerpräsident steht.

Minxin Pei

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