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Politik: „Jede lokale und globale Not aussprechen“

Herr Pfarrer Führer, Sie werden am Montag mit einem Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche des 9. Oktober 1989 gedenken.

Herr Pfarrer Führer, Sie werden am Montag mit einem Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche des 9. Oktober 1989 gedenken. Was sagt uns dieses Datum, das den Höhepunkt der friedlichen Revolution in der DDR markiert, heute noch?

Die zentralen beiden Werte von damals, Zivilcourage und Gewaltlosigkeit, sind heute so aktuell wie damals. „Keine Gewalt“ ist die kürzeste Zusammenfassung der Bergpredigt, sie hat eine immerwährende Wirkung – sozusagen als die „Gewalt der Gewaltlosigkeit“. Und da ist die Zivilcourage, die sich in den Worten „Wir sind das Volk“ ausdrückte. Wir staunen immer noch, dass der 3. Oktober als Tag der Einheit gefeiert wird und nicht der 9. Oktober, jener Tag, an dem das Volk die entscheidende Rolle spielte – die Politiker hielten nur den Atem an.

Das heißt, Sie übertragen den Geist dieses damaligen Ereignisses durchaus in die heutigen demokratischen Verhältnisse?

Wir brauchen auch heute Zivilcourage und Auseinandersetzungen ohne zivile Gewalt. In meiner Predigt beim Friedensgebet, die unter dem Thema steht „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“, gehe ich darauf ein. Wir hatten als DDR-Bürger alle einen Traum, das war der weite Raum. Es war der Traum von einem offenen Land mit freien Menschen. Dann sind wir in eine Situation gekommen, von der wir damals nichts geahnt haben: Wir sind aus der Enge und Beschränktheit heraus in einen weiten Raum gekommen, der auch viel Wüste enthält: gnadenlose Ellbogenmentalität, millionenfache Arbeitslosigkeit, Fremdenhass, neonazistische Aufmärsche, gegen die die Polizei nicht einschreitet.

Um welchen Frieden geht es Ihnen und Ihrer Gemeinde in den Friedensgebeten?

Die Grundidee der Friedensgebete sind nach wie vor diese zwei Anliegen: Wir wollen jede lokale und globale Not, jede gesellschaftliche und persönliche Schwierigkeit öffentlich aussprechen und vor Gott bringen.

Die Fragen stellte Matthias Schlegel.

Christian Führer (63) ist evangelischer Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig und einer der Initiatoren der Friedensgebete und Montagsdemonstrationen in der sächsischen Metropole.

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