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Politik: Jeder soll sein Glück selbst schmieden

Washington - Eine Unterschicht-Debatte wie in Deutschland ist in den USA schwer vorstellbar: Nicht weil die Realität so unterschiedlich wäre, sondern weil sie anders betrachtet wird. Amerika sieht sich als dynamische Aufsteigergesellschaft, in der ein begabter, aktiver Bürger alles erreichen kann.

Washington - Eine Unterschicht-Debatte wie in Deutschland ist in den USA schwer vorstellbar: Nicht weil die Realität so unterschiedlich wäre, sondern weil sie anders betrachtet wird. Amerika sieht sich als dynamische Aufsteigergesellschaft, in der ein begabter, aktiver Bürger alles erreichen kann. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Schwarze aus zerrütteten Familienverhältnissen erobern Spitzenfunktionen in Politik und Wirtschaft wie der Shootingstar der Demokraten, Barack Obama, Senator von Illinois. Einwanderer können es in der zweiten Generation bis ganz nach oben schaffen wie Bushs Justizminister Alberto Gonzales, dessen Eltern aus Mexiko kamen. Von Amerikas Muslimen haben zwei Drittel studiert, ein Drittel hat ein Jahreseinkommen von über 70 000 Euro.

Solche Beispiele bilden das Bewusstsein: Die Gesellschaft begreift sich als durchlässig, jeder bekomme seine Chance. In der Tat haben alle Hochschulen spezielle Förderprogramme für benachteiligte Minderheiten. An den Elitehochschulen sind Studienplätze für sie reserviert, Stipendium inklusive. „Normale“ US-Bürger zahlen dort sechsstellige Beträge für die Ausbildung. Auch anderswo wird „affirmative action“ großgeschrieben: eine gezielte Bevorzugung von Bewerbern aus der Unterschicht – in einem Maße, das die Mittelschicht als Diskriminierung ihrer Kinder wahrnimmt.

Wahr ist aber auch: Wer in einem Viertel mit hoher Armut und Gewalt geboren wird, hat statistisch geringe Chancen, diesen Verhältnissen zu entkommen. Die Schulen sind schlechter, das Risiko, in kriminelle Machenschaften der Streetgangs verwickelt zu werden, ist hoch. Die fehlende Förderung durch die Eltern wird kaum von Sozialeinrichtungen ausgeglichen. Die Masse der Unterschicht hat keine großen Chancen auf sozialen Aufstieg. Das bereitet den meisten Amerikanern jedoch kein schlechtes Gewissen. Der Fürsorgestaat gilt nicht als Ideal. Jeder ist seines Glückes Schmied. Den Umkehrschluss – wer es nicht schafft, ist selber schuld – spricht niemand aus. Das würde dann doch als schlimmer Fehlgriff gelten.

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