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Politik: Jenseits des Gebens

Von Hermann Rudolph

Dieser Wahltag hat spektakulär ein Wort ins Recht gesetzt, das Wahlberichten zumeist nur gewohnheitsmäßig aufgeklebt wird. In Brandenburg und Sachsen hat am Wochenende tatsächlich ein Erdrutsch stattgefunden, ein Einbruch gewohnter Sicherheiten, ein Absturz in die Ratlosigkeit. Der Indikator dafür sind, natürlich, die Stimmen für NPD und DVU, also für Parteien, die zu nichts nutze sind als zum Transport von Hass und Protest. Aber zur Randzone des Bebens gehören auch die extremen Verluste von CDU und SPD. Alles zusammen zeigt unsere politischen Verhältnisse in scharfer Drift in die Verunsicherung.

Denn es steht außer Zweifel, dass das Zentrum der Erschütterung in einer tiefen Verstörung liegt, für deren Entladung der Streit um Hartz IV nur der Zündfunke war. Was könnte sonst so viele Menschen dazu bringen, ihre Stimmen an Parteien zu geben, an deren Spitze ein abstoßender Hetzer steht – NPD –, oder deren Existenz eine manipulierte Fiktion darstellt – DVU? Doch spricht auch vieles dafür, dass das Gemisch aus Verbitterung und Angst, aus politischer Ignoranz und heillosen Illusionen, das sich am Sonntagabend meldete, weiter reicht, als es die Prozentzahlen der beiden Parteien erkennen lassen. Vermutlich hat sich die PDS sogar als stabilisierender Faktor erwiesen, weil sie einen Teil des Protests aufgenommen hat.

Insofern sind die Wahlergebnisse ein beklemmendes Zeichen dafür, auf welch unsicherem Boden sich Politik in den neuen Ländern vollzieht. Gewiss, der Politik und den Parteien brechen überall, auch im Westen, die Strukturen und Milieus weg, die sie bisher getragen haben. Aber Brandenburg und Sachsen zeigen, wie massiv dieser Prozess dort an der Politik rüttelt, wo es absichernde Strukturen und Milieus kaum gibt – ausgenommen die PDS, die sich noch immer auf die alten realsozialistischen Denk- und Verhaltensmuster stützen kann. Das um so mehr, als die absoluten Mehrheiten, in die die Menschen nach der Wende ihre Stabilisierungs- und Wohlstandswünsche projizierten, nicht gehalten haben, was sich viele von ihnen versprachen. Nun wachsen die Enttäuschungen überdimensional, zerrt der Prozess der Desillusionierung an Maßstäben und Prioritäten, ist politisch Land unter, weitgehend.

Übertrieben? Alarmismus? Gewiss, man kann darauf vertrauen, dass unser politisches System Extreme abarbeiten und Protest in den Konsens zurückführen kann. In Brandenburg wie in Sachsen gibt es Mehrheiten, die regieren können, und man kann hoffen, dass der Schock dieser Wahlen sie zu einer besseren Politik herausfordert. Das Protestpotenzial darf auch nicht darüber hinwegsehen lassen, dass die meisten Menschen in den neuen Ländern keineswegs einknicken, sondern sich in die Räder stemmen, um den Osten voranzubringen. Aber das Spektrum der Menschen, auf die sich demokratische Politik stützen kann, ist enger geworden. Die Besetzung der Landtags-Plenen wird es allen zeigen – und dabei sieht man dort noch nicht einmal die große Fraktion der Nichtwähler.

Was tun? Natürlich, es braucht Arbeitsplätze, Investitionen, also den wirtschaftliche Aufschwung, denn von deren Fehlen geht alles aus. Aber das reicht nicht. Wahrscheinlich begann die Misere der neuen Länder, als die alten glaubten, sie seien nur noch ein ökonomisches Problem. Doch es braucht mehr, um ihnen auf die eigenen Beine zu verhelfen: Zuwendung, Einfühlung, Verständnis. Aber wie gibt man politisch, was doch eine Sache des Mitdenkens und Mitlebens ist?

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