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Politik: Jetzt fangen wir ganz neu an

Von Susanne Vieth-Entus

Der neu entbrannte Streit um die Reform der Rechtschreibung ist so ungefähr das Letzte, was die Schulen zurzeit interessiert. Morgen beginnt in Berlin, Brandenburg und anderen Bundesländern das neue Schuljahr und bringt derart viele Veränderungen mit sich – da dürfte kaum jemand Kraft dazu haben, sich auch noch mit den Spitzfindigkeiten der Orthografie zu befassen.

Denn die neuen Aufgaben sind anstrengend genug. Für alle. Für die Schüler, weil sie mehr Unterricht erhalten und Vergleichsarbeiten über sich ergehen lassen müssen. Für die Eltern, weil sie die Reformen erst noch kennen lernen müssen und weil sie – ebenso wie ihre Kinder – mehr Verantwortung für die Entwicklung ihrer Schule und mehr Mitspracherechte bei inhaltlichen und finanziellen Entscheidungen erhalten.

Für die Lehrer wird es am schwersten. Sie tragen die Hauptlast der Reformen und sind gleichzeitig ihr Schlüssel. Dies gilt auch in Berlin, wo sich die Neuerungen überschlagen: Ganztagsschulen, Hochbegabtenförderung, Zentralabitur, neue Rahmenpläne und vorschulische Pflicht-Sprachkurse für Migrantenkinder müssen angeschoben werden. Und parallel sollen die Pädagogen die Sitzenbleiberzahlen senken und den Kontakt zu Betrieben stärken, um den Berufseinstieg der Schüler zu erleichtern.

Können die Lehrer das alles überhaupt leisten? Kein Zweifel: Von ihnen wird sehr viel gefordert, und nicht alle werden dem Druck gewachsen sein. Viele fühlen sich ausgebrannt und empfinden deshalb jede Reform als Zumutung. Allerdings stehen die meisten Bundesländer vor einer gigantischen personellen Auffrischung wegen der aktuellen Pensionierungswelle. Allein Berlin kann bis 2014 mehr als 13000 neue Lehrer einstellen. Nächstes Jahr sind es bereits rund 1000.

Damit erhalten die Länder die Chance für einen personalpolitischen Neuanfang. Und der könnte heißen: Abschied von der Verbeamtung der Lehrer und stattdessen Fristverträge bei leistungs- und belastungsbezogener Bezahlung, damit sich, anders als jetzt, auch in diesem Beruf zusätzliche Anstrengung auszahlt.

Berlin hat auf diesem Sektor einen Anfang gemacht. Der Senat hat sich davon verabschiedet, Lehren als hoheitliche Aufgabe zu definieren, und konsequenterweise den jetzt neu eingestellten Pädagogen keine Aussicht auf Verbeamtung gegeben. Allerdings wird es schwierig, diesen Weg auf Dauer durchzuhalten, wenn andere Bundesländer nicht mitziehen. Denn viele Junglehrer werden Berlin verlassen, wenn andere Länder ihnen das krisenfeste Beamtentum anbieten.

Auch finanziell ist der Verzicht auf Verbeamtung nicht von einem Land im Alleingang zu schaffen. Denn ein angestellter Lehrer kostet pro Jahr erst einmal rund 8000 Euro mehr wegen der Beiträge für die Renten- und Arbeitslosenversicherung. Bei 10 000 angestellten Lehrern wären dies rund 80 Millionen Euro. Das wird keine Regierung lange aushalten, „nur“ um den nachfolgenden Generationen die Pensionskosten zu ersparen – auch darum geht es bei der Umstellung – und um die Lehrer unter Leistungsdruck zu setzen. Das muss bundesgesetzlich festgezurrt werden.

An diesem Punkt müssten also alle Länder an einem Strang ziehen – und zwar dauerhaft. Denn die Qualität des pädagogischen Personals ist zu wichtig, als dass man mit ihr Spielchen wie mit der Rechtschreibreform spielen dürfte.

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