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Politik: Jetzt ist Schluss mit muffig

WAS BRINGT UNS 2004?

Von Tissy Bruns

Als heiteres Völkchen gelten wir nicht. Aber sogar in Deutschland müssen 364 Tage reichen, um über dies und jenes zu jammern – vorzugsweise über den Staat, der uns zuviel Geld wegnimmt. Gleichviel: Am 365. Tag wird Pause gemacht. Denn das neue Jahr naht, ein kollektives Erlebnis des Neubeginns. Egal, wenn auf dem Sekt eine Steuer für die kaiserliche Kriegsmarine liegt, aus dem vorletzten Jahrhundert. Egal, dass immer nur die anderen den Champagner in Strömen fließen lassen können. Das neue Jahr wird besser werden! Und für 2004 stimmt das sogar.

Weil die Mehrheit der Deutschen daran leider so recht nicht glaubt, sondern die trübe Stimmung des vergangenen Jahres ins neue mitschleppt, muss die gute Vorhersage ehrlich beginnen. Mit den schlechten Nachrichten. Das erste Vierteljahr wird ärgerlich. Die Abrechnungen auf dem Gehaltszettel müssen garantiert korrigiert werden, bis jeder weiß, wie viel weniger Steuern er zahlt. Wer zum Arzt geht, muss der Sprechstundenhilfe einen 10–Euro-Schein hinlegen. Der Blick auf die neuen Kalender ist auch nicht erfreulich. Der 1. Mai, der 3. Oktober, die beiden Weihnachtsfeiertage – alles am Wochenende. Da hilft nur der tröstliche Gedanke: Die Mehrarbeit bringt Wachstum. Und ein weiterer Blick in den Kalender: 2004 ist ein Schaltjahr; wir haben also 365 Jammertage frei.

Wir können sie gebrauchen. Denn es wird trotz Steuererleichterung für viele ein Jahr mit neuen Lasten. Die Reformgesetze bei Gesundheit, Rente, Arbeit werden wirksam – zuerst als Einschränkung. Die erhofften Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt können nur mit Zeitverzögerung folgen und werden 2004 gering ausfallen. Die Rentner müssen für diese Hoffnung eine große Vorleistung erbringen.

Aber Wirtschaft und Politik sehen ein schwaches Licht am Ende des Tunnels. Die Chance des Jahres 2004 besteht darin, dass ein kleiner konjunktureller Aufschwung auf breiter Front, von denen, die Arbeit haben, durch eine veränderte Haltung unterstützt wird. Sie liegt darin, dass die ängstliche und zugeknöpfte Stimmung nüchternem Realismus weicht. Dafür gibt es allerdings handfeste Gründe. Politische, gesellschaftliche, menschliche. Der letzte Jahresbeginn hat Deutschland auf einem Tiefpunkt angetroffen. So schlecht war die Stimmung zuletzt nach der Ölkrise, die auf die Wohlstandsgesellschaft wie ein Schock gewirkt hat. Und schnell vergessen wurde.

Der gegenwärtige Trübsinn hat sich über drei Jahre gesteigert und ist anderer Art. Von 1999 bis in dieses Jahr hinein haben die Deutschen heftige Pendelausschläge ihrer Stimmungslage durchlebt. Offenbar versetzt eine Jahrtausendwende auch die aufgeklärte Menschheit in Ausnahmezustände: erst der Börsenboom mit seinen euphorischen Erwartungen, dann die Talfahrt in wirtschaftliche Stagnation, politisches Durcheinander, persönlichen Kleinmut. Es ist nicht zu entwirren, welchen Anteil daran unser schwerfälliges politisches System hat. Welchen das vorher nie erlebte mehrjährige Ausbleiben von Wachstum, das auch die Mittelschichten mit Krise und Arbeitslosigkeit in Berührung gebracht hat, die sich davor gefeit fühlten. Oder einfach das im Boom verlorene Geld, über das man nicht einmal mit seinen engsten Freunden ehrlich reden mag. Aber es steht fest, dass in der kurzen Phase der Euphorie so viel Übertreibung lag wie in den zähen Jahren der negativen Erwartungen.

Die Chance des Jahres 2004 besteht einfach darin, dass wir mit den Füßen wieder fester auf der Erde stehen, dass wir Hoffnungen und ungelösten Probleme nüchterner ins Auge sehen. Politisch hat der Kompromiss im Vermittlungsausschuss die lange Zeit der Ankündigungen und Ungewissheit beendet. Es wird sich herausstellen, dass die Steuerreform angenehm, der Subventionsabbau ärgerlich, einige sozialen Kürzungen für die Betroffenen schwer sind. Aber der 10-Euro-Schein für den Arztbesuch und die meisten anderen Einschränkungen werden sich für die Deutschen als so erträglich herausstellen wie für unsere Nachbarn in Europa, die das alles längst kennen. Ökonomisch ist, für Unternehmer und Verbraucher, mehr Mut erlaubt. Und menschlich? Der Mensch braucht Abwechslung. Drei Jahre schlechte Stimmung sind genug.

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