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Politik: Jetzt muß über die publizistische Verwertung des Textes entschieden werden (Meinung)

Sollen Adolf Eichmanns Memoiren veröffentlicht werden? Die Frage hätte bis vor einigen Tagen noch absonderlich geklungen.

Sollen Adolf Eichmanns Memoiren veröffentlicht werden? Die Frage hätte bis vor einigen Tagen noch absonderlich geklungen. Was offenbar nur Eingeweihte wussten: Der ehemalige SS-Obersturmbannführer und bürokratische Mitorganisator der Deportationen und des Massenmords an Europas Juden hat vor seiner Hinrichtung am 31. Mai 1962 in Jerusalem ein etwa 1200-seitiges Manuskript hinterlassen, das bis heute in Israels Staatsarchiv verschlossen liegt. Nun freilich fordert der älteste Sohn Eichmanns die Herausgabe des Textes - als Erbe der Familie. Dabei interessiert die israelische und internationale Öffentlichkeit am wenigsten wohl der persönliche Besitzanspruch. Im Falle einer Konfiskation der Handschrift wird man sich in Jerusalem auf übergeordnete Rechtsinteressen berufen: wie einst schon beim Kidnapping Eichmanns durch israelische Geheimagenten in Südamerika. Andernfalls erhält die Familie irgendwann das Originalmanuskript, und Kopien stellt man der zeitgeschichtlichen Forschung zur Verfügung. In jedem Fall aber muss jetzt über die publizistische Verwertung des Textes entschieden werden.

Israels Generalstaatsanwalt Eljakim Rubinstein hat dem Justizministerium bereits eine Veröffentlichung empfohlen. Und tatsächlich würde eine weitere Geheimhaltung eher nur zur Mystifizierung oder Mythisierung der Eichmann-Erinnerungen beitragen. Zumal mit keinerlei spektakulären Enthüllungen (oder unbekannten Rechtfertigungen) zu rechnen ist. Anders als die FAZ gestern spekulierte, ging es Eichmann bei der Niederschrift gewiss nicht mehr darum, "seine Haut zu retten". Der Schreibtischtäter hatte in der siebenmonatigen Gerichtsverhandlung 1961 vor den Augen der Weltöffentlichkeit bereits detailliert ausgesagt und sich mit erkennbar geringem Erfolg als Rädchen nur im Getriebe des großen Völkermords darzustellen versucht. Darum war jedem Prozessbeobachter - auch Eichmann selbst - auf Grund der Beweislage klar, dass es am Ende zum Schuldspruch und zum Todesurteil kommen musste. Im übrigen weiss man viel von Eichmann: Neben Hannah Arendts berühmter Studie über die Banalität des Bösen ("Eichmann in Jerusalem") existieren ja die Protokolle von Avner Less, der als Verhöroffizier seine Gespräche mit Eichmann dokumentiert hat - und dazu gibt es hundertausende Seiten Holocaust-Forschung. Der Fall ist folglich nicht zu vergleichen mit Albert Speers Gentleman-Auftritten und Bestseller-Memoiren nach der Haftentlassung aus Spandau - und wären die Verbrechen des militärisch-industriellen Komplexes im NS-Staat bereits früher und gründlicher erforscht gewesen, wäre Hitlers Rüstungsminister schon beim Nürnberger Prozess kaum der Höchststrafe entgangen.

Was also tun mit dem Fund in Jerusalem? Ähnlich den Aufzeichnungen des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, 1946/47 geschrieben in Erwartung des Todesurteils, dürften auch Eichmanns Schriften den Historikern noch einmal Einblick geben in die Seele eines wahrhaft willigen Vollstreckers. Das ist der einzige Grund - zur Veröffentlichung.

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