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Politik: Jetzt schlägt auch sein Herz mal links

SCHRÖDERS WAHLKAMPF

Von Robert von Rimscha

Da sage noch jemand, Gerhard Schröder sei nicht für Überraschungen gut. Der Kanzler eröffnet im heimischen Hannover die heiße Phase eines vielleicht schon verlorenen Wahlkampfs, er redet eine knappe Stunde lang gegen widrige Umfragewerte und flaue Genossen an. Und welche Begriffe tauchen in seinem Vortrag überhaupt nicht auf? Gesundheit. Wachstum. Arbeitslosigkeit. Hartz. Neue Länder. Die Zuhörer auf dem Opernplatz haben mäßig begeistert geklatscht, einige haben sich auch heimlich die Augen gerieben. Dies soll die Bewerbungsrede eines Mannes gewesen sein, der den mächtigsten Job in Deutschland behalten will?

Das Wahlvolk nicht in Detailvorschlägen zu ertränken, ist an sich kein schlechtes Prinzip. Und dem, was der SPD in dieser Auseinandersetzung um den Sieg am 22. September bisher fehlte, hat sich Schröder tatsächlich genähert, dem Begriff, um den es gehen soll. Der Kanzler schlägt vor: „Der deutsche Weg.“

Dieser „deutsche Weg“ steht vor allem für Sicherheit. Außenpolitisch keine Kriegsabenteuer, innenpolitisch kein Risiko, keine Reform-Zumutungen. Sicherheit ist aber auch das, was Schröder für sich selbst sucht. Und offenkundig nur noch in einem traditionalistischen Minimalismus findet: klassische Bekenntnisse zur Bildung für alle und zur Kinderbetreuung, zur Gleichstellung der Frau und zur angemessenen Altersvorsorge, zur Tradition der Aufklärung. Verbunden mit ein paar Angriffen auf die Reichen und die Unternehmer wird daraus Klassenkampf, nur weichgespült.

Denn dass Millionenabfindungen für Profi-Verschlanker in den Unternehmensspitzen ein Ende haben müssten, wie der Kanzler fordert, ist purer Populismus. Regierungen regeln nicht die Bezahlung in der freien Wirtschaft. Oder die Ankündigung, militärische Spielereien seien mit ihm nicht zu machen: Das ist zum einen wohlfeil, weil sich allzu viele Gegendemonstranten, die energisch militärische Spiele fordern, kaum finden lassen. Es ist aber auch unehrlich. Denn Schröder setzt gleich zweierlei voraus, und beides ist unwahrscheinlich: dass George W. Bush unüberlegt, ohne die berühmte exit-strategy und ohne Alternativen zu Saddam, den Irak angreift, und dass die Union voller Hurra-Transatlantismus mitmacht.

Das Bedürfnis der Bürger nach Sicherheit ernst zu nehmen, ist richtig. Die Lage zu kaschieren, nicht. Hier grenzen Schröders Äußerungen nicht nur an Frivolität. Sie verringern zugleich das größte Verdienst seiner Regierung: die Versöhnung der deutschen Linken mit den außen- und sicherheitspolitischen Realitäten.

Wer diesem Kanzler zugehört hat, wie er mit anfangs belegter Stimme auf die improvisierte Suche nach einer Botschaft ging, kann sich nur sorgen. Der Versuch einer Selbstüberzeugung dürfte gescheitert sein. Allzu viel ist Schröder ganz offenkundig in den vergangenen Monaten weggebrochen, und der kleine Vorgarten an SPD-Tradition, den er nun zu beackern versucht, bringt nicht die erhoffte Ernte ein. Dieser Start in die heiße Phase klang nach Oskar Lafontaine, er war auch eine Suche des Kampfwilligen nach seinem Gegner. Und dem richtigen Feld.

Der Kanzler hat seine Rede mit einem klassischen Schröder-Satz beendet. Er spricht gern davon, dass er tue, was getan werden müsse. Jetzt hat er gerufen, für die Sozialdemokraten gelte: „Weil sie gewinnen wollen, werden sie auch gewinnen.“ Ob die Eigendynamik des frommen Wunsches tatsächlich reicht, darf bezweifelt werden. Bezeichnend aber ist, dass Schröder von sich und seinen Genossen in der dritten Person spricht. Da schwingt schon ein Hauch von Abschied mit: kein „wir“, kein „ich“, nein: die Sozialdemokraten, deren Vorsitzender zufällig Gerhard Schröder heißt.

Ob Schröder der Republik verloren geht, entscheidet ganz allein der Wähler, und der tut dies am 22. September, keine Sekunde früher. An diesem grauen Montag war zu besichtigen, wie Schröder vorerst schon mal sich selbst und seiner Partei abhanden zu kommen droht. Erstaunen, Sorge, bei manchen sogar eine Prise Mitleid: Das dürfte Schröder ernten. Für einen Auftritt, der als Aufbruch gedacht war. Noch 46 Wahlkampfreden bleiben ihm, es besser zu machen. Damit der Wahlkampfaufruf nicht schon die Abschiedsrede war.

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