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Politik: Jetzt sind wir alle dran

Von Stephan-Andreas Casdorff

Vorbei. Es ist etwas zu Ende gegangen, ob Ära oder Episode, das wird die Rückschau, vielleicht erst die Geschichte zeigen. Sieben Jahre Rot Grün: Es war die Arbeit in einer Koalition, die vor ihrem Beginn als Projekt angesehen wurde und lange, eigentlich bis zuletzt, auch entsprechend handelte – immer wieder so, als habe sie die Mechanik der Politik eben erst durchdrungen: Veränderung muss getragen sein von Vertrauen, und beides muss im Verhältnis zueinander stetig bleiben, wenn Veränderung nicht zu Verwüstung führen soll. Nun sagt der Bundeskanzler, es seien gute Jahre gewesen. Und stellt am Ende die Vertrauensfrage.

Jetzt ist, über den Bundespräsidenten in seinem Amt, jeder Einzelne gefragt. Es ist eine Vertrauensfrage ans Volk – aber, nicht zuletzt, an die Volksvertreter und, vor allem, an die, die die Macht ausüben wollen. Das Land steht – und das ist das Besondere an diesen Tagen – nach einer Serie von Veränderungen auf dem Feld des Sozialen ohne Beispiel in der Geschichte der deutschen demokratischen vereinten Nachkriegsrepublik, vor einer Katharsis. Drum frage sich jeder selbst: Wie viel Veränderung will ich, ertrage ich, trage ich mit. Und drum frage jeder denjenigen, der den Souverän vertreten will, was genau er will. Oder sie.

Die innere Läuterung als Wirkung des Trauerspiels, um nichts anderes geht es. Das politische Trauerspiel dieser Tage ist die Zerfledderung eines im Grunde gemeinsamen festen Ziels, Agonie zu verhindern, mindestens aber Stillstand. Es wird beendet werden, wenn es der Bundespräsident so will, das Bundesverfassungsgericht keine Einwände erhebt, und wenn der Wähler dann wirklich wählt. Oder besser: die Wahl hat. Ein Ausweichen darf es darum nirgendwo mehr geben. Demokratie ist kein ewiges Basta, sondern ein ewiges Suchen, Versuchen, Verändern, Sich-selbst-Vergewissern. Vor diese Aufgabe ist das Land gestellt – ein geschichtlicher Moment. Und ein Momentum, das es zu nutzen gilt.

Vorbei ist alles Konspirative im Verfahren, die Farce der Umstände, das zum Schluss kleinliche Nachzählen im Parlament, bei dem die Regierung der Opposition und umgekehrt vorhält, wer bei welchem Gesetz blockiert oder mitgestimmt und sich nachher abgesetzt hat. So wahr das sein mag, in aller Bescheidenheit, wie weiland Rainer Barzel sagte, es geht um Deutschland. Die Frage danach, ob Rot- Grün noch handlungsfähig ist, wird irrelevant. Sie ist durch tägliche Anschauung beantwortet. Die Frage ist vielmehr von heute an, wie handlungsfähig die Wähler sind. Denn sie entscheiden, ob dieses oder nächstes Jahr, wie handlungsfähig die kommende Regierung sein wird – und auf welchen Feldern sie wie handeln soll. Über das Wie erschließt sich aber erst, wer es tun soll, stellvertretend zum Wohle des deutschen Volkes, wie es der Amtseid verlangt. Wer da noch glaubt, die Macht des Ungefähren reiche, sei Garant für einen Sieg, der oder die versündigt sich. So wahr ihnen Gott helfe. So gesehen kann die Katharsis noch zum Säurebad werden. Für alle.

Denn vor dem Forum der deutschen Öffentlichkeit hat Schröder als Kanzler seiner Partei das Misstrauen ausgesprochen, wie die Wähler vorher ihm und seiner Koalition. Er sprach es aus, weil der SPD zuletzt, wie vielen Wählern, der Reformkurs zu weit führte. Da, wo Schröder hin will, ist gemeinsam kein Staat mehr zu machen. Doch: Sein Kurs führte nicht einmal dorthin, wo Merkel als Kanzlerin die Republik hinführen würde, wenn das, was sie 2003 sagte zu Steuern, Gesundheit, Sozialem heute noch gilt. Was heute gilt, das ist herauszufinden. Bei allen.

Und mehr als das. Wer die Macht haben will, muss – um sozialen Zusammenhalt in dieser Zeit allgemeiner Unsicherheit zu sichern – erst Vertrauen schaffen. Schröder, Müntefering, Fischer, Merkel, Westerwelle, Lafontaine, die Vertrauensfrage könnte eine Wende sein. Die Wende, die Helmut Kohl nach der Vertrauensfrage 1982 versprach: zu einer geistig-moralischen Erneuerung. Wenn es eine Physik der Macht geben sollte, dann vielleicht die, dass es schwer wiegende Gründe für die Republik gibt, das Gewicht auf das Aussprechen der Wahrheit zu legen.

Das gestern war ein Anfang.

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