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Jewish Claims Conference: Angeblich NS-Verfolgte erschleichen Entschädigung

Betrugsskandal bei der Jewish Claims Conference: Gelder sollen an nicht berechtigte Antragssteller ausgezahlt worden und der so erzielte Gewinn mit Mitarbeitern der JCC geteilt worden sein.

Welche Vorwürfe werden erhoben?

17 Mitarbeiter der JCC – darunter sechs Angestellte sowie elf freie Beschäftigte – sollen durch rund 5600 gefälschte Entschädigungsanträge mehr als 42 Millionen Dollar (rund 30 Millionen Euro) erschwindelt haben. Die Vorgehensweise war stets dieselbe. Angebliche Verfolgte des NS-Regimes stellten Anträge auf Entschädigung, die mit falschen Unterlagen begründet wurden. Dabei sollen etliche Anspruchsteller sogar erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des NS-Regimes geboren worden sein.

Die Anträge wurden von Mitarbeitern der JCC bewilligt. Diese waren in die Machenschaften eingeweiht und erhielten einen Anteil aus der Auszahlungssumme. So wurden zwei von der JCC verwaltete Fonds geprellt. Als Anführer betrachtet die New Yorker Staatsanwaltschaft den russischen Einwanderer Semjon Domnitzer, der in den vergangenen elf Jahren für die Antragsbewilligung zuständig war. Zudem sollen gezielt jüdische Auswanderer aus Russland angeworben worden sein, um Anträge auf Entschädigungsleistungen zu stellen, ohne dass sie die nötigen Voraussetzungen erfüllten.

Um welche Fonds handelt es sich?

Die Beträge stammen aus zwei verschiedenen Entschädigungsfonds. Die Mehrzahl der Fälle (rund 5000) betrifft den 1980 eingerichteten Härtefallfonds, aus dem Einmalzahlungen in Höhe von rund 3600 Dollar an jüdische Bürger geleistet werden, die aufgrund der NS-Verfolgung zur Flucht gezwungen waren. Hier beträgt der Schaden rund 18 Millionen Dollar. Größer noch ist die Schadenssumme beim 1992 eingerichteten Fonds für Geringverdiener. Aus ihm werden Anspruchsberechtigte mit einem Jahreseinkommen unter 16 000 Dollar mit einem monatlichen Zuschuss in Höhe von 411 Dollar bedacht. In dieser Kategorie wurden vom FBI 658 Fälle ermittelt. Betrug ist hier wesentlich schwieriger, da der Antragsteller die Einweisung in ein Ghetto oder die Haft in einem Konzentrationslager nachweisen und umfangreiche persönliche Dokumente beibringen muss.

Welche Konsequenzen hat das?

Die Staatsanwaltschaft erhebt gegen die 17 Beschuldigten Anklage wegen Verschwörung zum Betrug, Geldwäsche und Urkundenfälschung. Ihnen drohen bis zu 20 Jahre Haft. Inwieweit auch die betrügerischen Antragsteller zur Verantwortung gezogen werden können, ist nach den Worten des Bundesstaatsanwalts in Manhattan, Preet Bharara, derzeit noch unklar, da es sich teils um bewusste Täuschungen, teils auch irrtümlich gestellte Anträge von neuen Immigranten gehandelt habe.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland, selbst Mitglied der JCC, zeigte sich entsetzt über das Ausmaß des Betrugs: „Man hat sich schon gefragt, warum die inneren Kontrollmechanismen der JCC versagt haben“, sagte Generalsekretär Stephan Kramer dem Tagesspiegel. „Natürlich ist jetzt das Vertrauen in die Organisation verletzt, und es wird wohl einige Jahre dauern, bis das wiederhergestellt ist. Wenn überhaupt.“

Wird Schadenersatz gefordert?

Die Auszahlungen deutscher Mittel durch die JCC in New York wurden nach der Entdeckung von Unregelmäßigkeiten zu Anfang dieses Jahres gestoppt, soweit es sich um Verdachtsfälle handelt. Der Bundesrechnungshof hat Prüfungen vorgenommen, gibt aber zu deren Umfang und Ergebnis keine Auskunft. Mittlerweile hat die Bundesregierung die „Prüfung von Schadenersatzansprüchen“ eingeleitet, wie das Finanzministerium auf Anfrage mitteilte, ohne sich zu dem New Yorker Ermittlungsverfahren äußern zu wollen. Das Ministerium betonte aber, dass die JCC „bereits Maßnahmen für eine wirksamere Kontrolle in der Fallbearbeitung ergriffen“ habe. Die JCC selbst erklärte, von den Betrügern Schadenersatz fordern zu wollen.

Was genau macht die JCC?

Die Conference on Jewish Material Claims Against Germany – wie der vollständige Name lautet – wurde 1951 von 23 jüdischen Institutionen in New York gegründet, unter anderem um Schadenersatzansprüche von jüdischen NS-Opfern, die nicht Bürger des Staates Israel sind, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen, sei es durch Einzelanträge oder durch Sammelklagen. Die Tätigkeit der JCC gegenüber der Bundesrepublik beschränkt sich auf materielle Fragen. In den unmittelbar auf die Gründung folgenden Verhandlungen mit der Bundesregierung wurde vereinbart, dass die Bundesrepublik zum einen eine gesetzliche Grundlage für die Restitution enteigneter Vermögenswerte sowie die individuelle Entschädigung schaffen solle. Zum anderen verpflichtete sich die Bundesregierung unter dem damaligen Kanzler Konrad Adenauer, der JCC 450 Millionen D-Mark für Entschädigungsleistungen zur eigenen Verfügung zu stellen. Diese Vereinbarung wurde am 10. September 1952 in Luxemburg unterzeichnet („Luxemburger Abkommen“).

Welche Leistungen hat die Bundesrepublik Deutschland danach bislang erbracht?

Mit Stand von Ende 2009 sind laut Bundesfinanzministerium bislang 66 Milliarden Euro an „Leistungen der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Wiedergutmachung“ erbracht worden. Nicht enthalten sind Leistungen insbesondere der Sozialversicherung, die das Finanzministerium als „nicht bezifferbar“ bezeichnet, die jedoch ebenfalls im Milliardenbereich liegen. Den Löwenanteil der Summe von 66 Milliarden Euro machen Zahlungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz aus; sie betragen knapp 46 Milliarden Euro. Weitere 3,5 Milliarden Euro wurden für Härtefälle aufgewendet. Bis Ende 1987 wurden 4,3 Millionen Anträge auf Entschädigung abgeschlossen, von denen zwei Millionen positiv beschieden wurden. Einen Sonderfall stellt die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung von Zwangsarbeitern dar, die je zur Hälfte aus Bundesmitteln sowie aus Zuwendungen deutscher Wirtschaftsunternehmen gespeist wurde und einen Umfang von 5,2 Milliarden Euro hatte. Ihre Zahlungen sind abgeschlossen. Dabei hat die JCC Deutschland mit Sitz in Frankfurt am Main 1,15 Milliarden Euro für jüdische Zwangsarbeiter mit Wohnsitz außerhalb Israels erhalten und ausbezahlt. Mitarbeit: Jan Ludwig

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