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Bitte dort lang. Bundespräsident Joachim Gauck (links) wird in der Großen Halle des Volkes in Peking vom chinesischen Regierungschef Li Keqiang empfangen.

© Wu Hong/dpa/EPA

Joachim Gauck besucht China: Offenheit hinter verschlossenen Türen

Joachim Gaucks erste Reise nach China ist für den Bundespräsidenten kein leichter Besuch. Der frühere Bürgerrechtler will auch die Lage der Menschenrechte ansprechen.

Es ist ja mitnichten so, dass der ehemalige DDR-Bürger Joachim Gauck in seinem Leben vom Sozialismus nichts mitbekommen hätte. Trotzdem soll dem Bundespräsidenten in diesen Tagen noch einmal der Sozialismus nähergebracht werden, genauer gesagt, der „Sozialismus chinesischer Prägung“. Seit Samstag besucht Joachim Gauck fünf Tage lang die Volksrepublik China, und dort wird er auch mit einer Lektion in Sachen Errungenschaften und Wohltaten des chinesischen Staates konfrontiert. Das sagten die Experten des Berliner China-Institutes Merics schon im Vorfeld der Reise voraus.

Aber China befindet sich zugleich in einem Zustand innenpolitischer Verhärtung. Dissidenten und Menschenrechtsanwälte werden verhaftet, abweichende Meinungen unterdrückt, die Medienfreiheit nimmt weiter ab; die Auslandsorganisationen der tibetischen und uigurischen Minderheiten klagen über Repressionen gegen ihre Landsleute; sogar ein schwedischer Pass konnte unlängst einen Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation in Peking nicht vor einer zwischenzeitlichen Festnahme und einem wohl erzwungenen Geständnis im Staatsfernsehen schützen. Alles Vorfälle, die den einstigen Bürgerrechtler Gauck empören müssten. Dann gibt es noch die Inhaftierung von Christen sowie der Abriss von Kirchen oder deren Kreuzen in der Provinz Zhejiang. Auch das ist etwas, was den früheren evangelischen Pastor Joachim Gauck stören müsste.

Und so sagte Gauck denn auch dem chinesischen Magazin "Caixin", er wolle mit Chinas Führung über „Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen“ sprechen. „Wir beide wissen, dass wir in einigen politischen Fragen nicht wirklich miteinander übereinstimmen, aber wir sind bereit, darüber zu sprechen“, sagte er und nannte Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

Gespräch mit Staats- und Parteichef Xi Jinping

Inwieweit diese Themen bei den Gesprächen mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping am Montag in Peking eine Rolle spielten, wurde zunächst nicht mitgeteilt. Im Mittelpunkt ihrer Gespräche, zu denen Gauck mit militärischen Ehren begrüßt wurde, hätten die bilateralen Beziehungen und internationale Fragen gestanden, hieß es. Beide Staatsoberhäupter wollten auch das „Jahr des Jugendaustausches“ zwischen Deutschland und China eröffnen. Zuvor war Gauck mit Regierungschef Li Keqiang zusammengetroffen. Ihr Gespräch drehte sich vor allem um den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen, die Lage der chinesischen Wirtschaft und den neuen Fünf-Jahres-Plan, den der Volkskongress erst in der vergangenen Woche gebilligt hatte.

Am Morgen hatte Gauck auch die Hochschule der Kommunistischen Partei besucht und länger als erwartet mit dem für Propaganda und Ideologie zuständigen Politbüromitglied Liu Yunshan diskutiert. Das „offene“ Gespräch habe sich um die Rolle des Rechts im sozialistischen System gedreht, verlautete aus der Delegation.

Bereits 2014 beim Besuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Berlin hatte der Bundespräsident seinen Gast an die Charta der Vereinten Nationen als gemeinsamen Rahmen erinnert, „angefangen bei der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“. Beim chinesischen Staatschef müssen die kritischen Worte den Wunsch geweckt haben, Gauck zeigen zu wollen, wie es um China wirklich bestellt ist. Björn Conrad, Stellvertretender Direktor Forschung am China-Institut Merics, sagt: „Der Austausch mit Joachim Gauck ist ein persönliches Anliegen Xi Jinpings, er will ihm seine Version der Story näherbringen.“

Peking baut die Sozialleistungen aus

Es gibt ja auch manche Errungenschaften vorzuzeigen, vor allem im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Das unterscheidet auch das zeitgenössische China von der untergegangenen DDR. Oft und intensiv haben die Funktionäre der KP Chinas den Niedergang des Kommunismus in Osteuropa studiert, um nicht dieselben Fehler zu begehen. Peking baut derzeit die Sozialleistungen aus und führt eine fast flächendeckende medizinische Versorgung ein. Im gerade verabschiedeten Fünfjahresplan der chinesischen Regierung soll die Armut bis 2020 komplett beseitigt werden. Das alles passiert, „um sich die Gesellschaft gewogen zu halten“, sagt Matthias Stepan, Experte für chinesische Innenpolitik am Merics-Institut. Zugleich aber versucht die Partei, eine starke Kontrolle über die Gesellschaft auszuüben und die Entstehung einer organisierten Zivilgesellschaft zu verhindern.

Joachim Gauck wird das wohl auf seiner Reise nach Peking, Schanghai und Xian erneut kritisieren und Menschen- und Bürgerrechte anmahnen. Wahrscheinlich wird er auch Einzelfälle ansprechen wie die Inhaftierung des moderaten uigurischen Professors Ilham Tohti oder des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Aber die meiste Kritik dürfte er nicht öffentlich äußern, gemäß dem Muster deutscher Chinapolitik: Offenheit hinter verschlossenen Türen. Selbst wenn Gauck bei seiner Rede vor Studenten der Schanghaier Tongji-Universität Missstände klar benennen sollte: Chinas Regierung besitzt genügend Zensurmöglichkeiten, um unliebsame Äußerungen nicht allzu weite Kreise ziehen zu lassen.

Da stellt sich die Frage, was Gauck überhaupt erreichen kann. Abgesehen von leichten Verbesserungen oder zumindest keinen Verschlechterungen von Haftbedingungen – nicht viel. Immerhin stellt der persönliche Kontakt der Staatsspitzen einen nicht zu unterschätzenden Wert dar. Und falls unerwartet größere Veränderungen in China eintreten sollten, sagt Björn Conrad: „Dann werden wir froh sein, wenn solche Kanäle noch da sind.“ (mit dpa)

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