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Jobcenter: Merkel trifft Entscheidung - und wird kritisiert

Die lange schweigende Kanzlerin legt sich in Sachen Jobcenter fest – und prompt ist die Krise da. Der SPD gefällts.

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ngela Merkel als Wackelkandidatin – das ist genau das, was sich die SPD gewünscht hat, um ihre Vorwahlkampfbotschaft von der führungsschwachen Kanzlerin unters Volk zu bringen. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann gibt am Mittwoch schon mal einen Vorgeschmack. Beim Pressefrühstück in der Hamburger Landesvertretung wirft er Merkel vor, in der Unionsfraktion gegen die Reform der Jobcenter gestimmt und damit „den eigenen Vorschlag zu Fall gebracht“ zu haben. Man könne eine Volkspartei aber nicht „meinungslos führen“, ätzt Oppermann: „Das ist ein politischer Offenbarungseid!“

Das Dumme für Merkel ist, dass diese Analyse gar nicht so weit von dem entfernt liegt, was manche ihrer Parteifreunde in den Ländern denken. Der Streit um die Zukunft der Arbeitsverwaltung schwelt seit Wochen. Merkel hat ihrem Fraktionschef Volker Kauder darin freie Hand gelassen. Der widersetzte sich von Anfang an und sehr grundsätzlich einem Kompromissvorschlag, den Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) mit NRW-Regierungschef Jürgen Rüttgers als CDU-Unterhändler vereinbart hatte. Als der Konflikt am Montag im CDU-Präsidium in einer erregten Schreierei zwischen Kauder auf der einen und Rüttgers und Roland Koch auf der anderen Seite eskalierte, schlug Merkel vor, die Fraktion entscheiden zu lassen. Der Fraktionsvorstand, ohnehin auf Kauders Linie, blieb beim Nein; die Fraktion schloss sich dem an. Auch die Abgeordnete Merkel, die ihre Meinung bis dahin nie geäußert hatte, hob die Hand. Die Krise war da.

In der Sache ist der Streit kompliziert, und er wird nicht verständlicher dadurch, dass zwei Verfassungsänderungen mit völlig unterschiedlichem Ziel darin eine Rolle spielen. Technisch geht es um die Frage, wie künftig die Hartz-IV-Bürokratie funktioniert. Politisch geht es um Prinzipien. Hartz-IV- Empfänger werden heute je nach Wohnort mal von der Gemeinde und mal von einer gemischten Arbeitsgemeinschaft aus Bundesagentur (BA) und Gemeinde verwaltet. Die hat aber das Verfassungsgericht verboten und bis Ende 2010 Frist zur Neuregelung gesetzt. Scholz und Rüttgers schlugen vor, per Grundgesetzänderung eine neue Mischform mit dem Kürzel ZAG einzuführen. Nach dem ersten Nein aus der Unionsfraktion bot Scholz an, auf einen Deal einzugehen – die ZAGs kommen, zugleich werden die 69 Gemeinden, die Arbeitslose selbst betreuen, in einer zweiten Verfassungsänderung vom Modellversuch mit Auslauffrist zur Dauerlösung aufgewertet.

Der Gedanke gefiel vor allem Koch. Der Hesse hatte im Streit mit Rot-Grün über die Hartz-Reform diese sogenannten „Optionskommunen“ zum Knackpunkt gemacht. Am Mittwoch lässt er seinen Sozialminister Jürgen Banzer noch einmal in verhalten prinzipiellem Ton erklären, warum: Die Optionskommunen müssten erhalten bleiben, weil sie „direkt bei den Menschen und in unmittelbarer Anbindung an die regionalen Strukturen“ die Arbeitsuchenden vermittelten. Kauder sieht das etwas anders. Erstens seien die Ergebnisse auch bei anderen Verwaltungsmodellen nicht schlechter. Zweitens: „Unser entscheidender Vorwurf gegen das Modell des Arbeitsministers ist, dass die Gründung von 370 ZAG eine neue zentrale Behördenstruktur einführen würde.“ Dass Koch und Rüttgers auf die Verankerung der 69 Optionskommunen mit der Begründung drängen, dafür sei nur in der großen Koalition die Mehrheit garantiert, findet der Fraktionschef auch kein Argument: „Man darf solche Behördenstrukturen nicht im Grundgesetz so in Beton gießen, dass man hinterher gar nicht mehr beweglich ist“, sagte er dem Tagesspiegel.

Minister Scholz hat am Mittwoch erst einmal mit der Bundesagentur vereinbart, dass alle 370 bestehenden Arbeitsgemeinschaften bis 2010 vertraglich abgesichert werden. Wie eine verfassungsgemäße Lösung danach aussehen soll, ist offen. Merkel hat dieses Vorgehen mit Scholz ausdrücklich noch einmal abgesprochen. Der SPD-Mann, der am Vortag in der SPD-Fraktion den Kollegen von der Union einen „kollektiven Nervenzusammenbruch“ aus „kleinkarierten politischen Motiven“ bescheinigt hatte, wollte ohnehin ursprünglich eine Lösung ohne die Grundgesetzänderung, die im gemeinsamen Vorschlag mit Rüttgers steht.

Damit könnte die Sache still verläppern, wäre da nicht der Ärger in den Ländern. Nordrhein-Westfalen ließ am Mittwoch bei anderen Ländern nachfühlen, ob sie bei einer Bundesratsinitiative für die Optionskommunen mittun würden. Rüttgers und Koch setzen darauf, dass die FDP für die Ausweitung der 69 Kommunen zu gewinnen wäre. Wenn dann am Ende wegen Widerstands der SPD doch nur die 69 abzusichern sind – auch gut.

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