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Boris Johnson im Unterhaus

© Jessica Taylor/UK Parliament/XinHua/dpa

Johnsons halber Sieg und die Folgen: Denkbar ist nun eine „Flextension“ für den Brexit

Ja zum Brexit, aber bitte ohne Hetze: Das britische Unterhaus hat sich eigenwillig zu Johnsons Plänen verhalten. Lösung könnte eine flexible Frist der EU sein.

Der britische Regierungschef Boris Johnson konnte am Dienstag zum ersten Mal in seiner Amtszeit im Parlament einen Erfolg in Sachen Brexit verbuchen. Eine Mehrheit der Abgeordneten billigte am Abend in zweiter Lesung im Grundsatz ein Ratifizierungsgesetz, mit dem der Scheidungsvertrag mit der EU in nationales Recht gegossen werden soll. Überhaupt war es das erste Mal, dass sich das Unterhaus nicht gegen, sondern für eine Gesetzgebung in Verbindung mit einem auf dem Tisch liegenden Austrittsdeal ausgesprochen hat.

Allerdings kann sich Johnson aus zwei Gründen nicht so recht über den Abstimmungserfolg freuen: Einerseits steht die entscheidende dritte Lesung des Austrittsgesetzes erst noch bevor. Und zum anderen wollen sich die Parlamentarier bis zur dritten Lesung Zeit lassen – jedenfalls mehr Zeit, als ihnen der Premierminister zunächst zugestehen wollte.

Laut dem ursprünglichen Plan Johnsons hätte das Ratifizierungsgesetz bis Donnerstag durchs Unterhaus gepeitscht werden sollen. Doch diesen Zeitplan lehnten die Abgeordneten am Dienstagabend mit 322 gegen 308 Stimmen ab.

Zuvor hatte Johnson im Parlament damit gedroht, dass er das Ratifizierungsgesetz ganz zurückziehen werde, falls sich die Debatte im Unterhaus noch monatelang hinziehen sollte. Die Regierung werde eine Entscheidung des Parlaments nicht hinnehmen, „alles bis Januar oder sogar darüber hinaus zu verzögern“, hatte der Premierminister erklärt. In diesem Fall wolle er Neuwahlen anstreben, hatte er gedroht.

Von Neuwahlen spricht der Premier am Ende nicht mehr

Von Neuwahlen sprach Johnson allerdings nicht mehr, nachdem Parlamentssprecher John Bercow das Ergebnis der Abstimmung über den Zeitplan bekannt gegeben hatte. Stattdessen beglückwünschte er sich und die Mehrheit im Parlament zu der Tatsache, dass das Unterhaus „zum ersten Mal in dieser langen Saga“ seiner Verantwortung gerecht geworden sei und einem Deal zugestimmt habe.

Gleichzeitig kündigte er allerdings auch an, dass die Austrittsgesetzgebung zunächst einmal auf Eis gelegt werde, bis die verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten eine Entscheidung über eine mögliche Verlängerung der Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus getroffen haben.

Der britische Premierminister Boris Johnson am Dienstagabend im Unterhaus.
Der britische Premierminister Boris Johnson am Dienstagabend im Unterhaus.

© AFP

Er werde mit den EU-Mitgliedstaaten über ihre Intentionen sprechen, kündigte Johnson an. Denkbar ist in dieser Situation, dass die EU eine „Flextension“ bis zum 31. Januar anbietet. Mit anderen Worten: Die neue Frist könnte bis zum 31. Januar laufen, aber auch kürzer ausfallen, wenn die Ratifizierung des Austrittsvertrages zu einem früheren Zeitpunkt im Parlament über die Bühne geht.

Johnson will verhindern, dass der Deal noch einmal aufgeschnürt wird

Johnson will verhindern, dass die Opposition das Ratifizierungsgesetz noch einmal aufschnürt und einen „weichen Brexit“ wieder möglich macht. Eine enge Anbindung an die EU hatte der ursprüngliche Deal vorgesehen, den Johnsons Vorgängerin Theresa May ausgehandelt hatte.

Laut Johnsons Austrittsvertrag soll hingegen das gesamte Vereinigte Königreich die EU-Zollunion verlassen. Gleichzeitig sollen Produktstandards des EU-Binnenmarktes für die britische Provinz Nordirland gelten.

Der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn ließ bei der Debatte im Unterhaus keinen Zweifel daran, dass er das Ratifizierungsgesetz in der gegenwärtigen Form ablehnt. Corbyn bezeichnete das Gesetz als „Charta für Deregulierung“.

Unterdessen versuchten während der Nacht zum Dienstag die Tory-Rebellen, die Johnson im September aus der Fraktion der Konservativen geworfen hatte, Veränderungen an dem Gesetz in ihrem Sinne sicherzustellen. Abgeordnete wie der frühere Entwicklungsminister Rory Stewart sehen ein Problem darin, dass Johnsons Austrittsvertrag ein Schlupfloch für die Befürworter eines No-Deal-Brexit lässt.

Theoretisch könnte es dazu kommen, dass Großbritannien am Ende des kommenden Jahres nach dem Ablauf einer Übergangsperiode selbst dann auf einen Chaos-Brexit zusteuert, wenn es demnächst zu einem geregelten Austritt aus der Europäischen Union kommen sollte.

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