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José Manuel Barroso ist seit 2004 Präsident der EU-Kommission. Dass der ehemalige portugiesische Ministerpräsident vor gut sechs Jahren Kommissionschef wurde, verdankt er nicht zuletzt der damaligen deutschen Oppositionsführerin Angela Merkel. Mittlerweile ist das Verhältnis zwischen Barroso und Merkel abgekühlt.

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José Manuel Barroso: "Wir wollen keine Transferunion"

EU-Kommissionschef José Manuel Barroso spricht mit dem Tagesspiegel über Europas Gemeinschaftswährung und die Deutschen.

Herr Kommissionspräsident, ist Ihr Verhältnis zur Kanzlerin gestört, nachdem Sie vergangene Woche bei der Aufstockung des Euro-Rettungsschirms vorgeprescht sind?

Ich will die Gelegenheit nutzen, das klarzustellen. Erstens will ich unterstreichen, dass die Bundesregierung und die EU-Kommission Seite an Seite stehen im Kampf gegen die Eurokrise. Und ich habe auch nicht den geringsten Zweifel an der deutschen Entschlossenheit zu handeln. Kanzlerin Merkel wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Stabilität der Eurozone zu sichern. Bei anderen, um das einmal klar zu sagen, war das nicht immer so eindeutig. Und zweitens verfolgen wir hundertprozentig dieselbe Linie: Es geht uns um Haushaltsdisziplin, makroökonomische Stabilität und Strukturreformen. Wir als Kommission treiben diese „deutsche“ Agenda stark voran. Nicht jeder in Europa teilt diese Linie, Berlin und Brüssel aber schon.

Das mag sein – trotzdem war die Kritik an Ihnen in der vergangenen Woche echt.
Ich war schon überrascht, dass sich alle Kommentare nur auf einen Paragrafen unseres Gesamtpakets fokussierten. Ich habe gesagt, dass die effektive Kapazität des Rettungsschirms erhöht werden sollte. Was ich nicht gesagt habe, war, dass wir über die bereits vereinbarte Summe hinausgehen sollten.

Wie begründen Sie Ihren Vorschlag?
Die 440 Milliarden – der Eurozonen-Anteil am Rettungsschirm – sind derzeit nicht voll verfügbar. Und das ist für die Eurozone eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wir müssen den Märkten jetzt klarmachen, dass wir nicht nur Erklärungen abgeben, sondern Entscheidungen treffen.
Wir reden also ganz konkret über 180 Milliarden Euro mehr für den Rettungsschirm?
Wir reden darüber, das vereinbarte Volumen des Rettungsschirms effektiv nutzbar zu machen. Wir brauchen das nicht, weil ein bestimmtes Krisenland X oder Y so viel Geld bräuchte. Es ist besser, solche Entscheidungen in einem relativ ruhigen Umfeld zu treffen als unter Druck.

Soll der EU-Rettungsschirm auch Staatsanleihen kaufen dürfen?
Ich glaube, die Bandbreite ihrer Aktivitäten sollte erweitert werden. Schon deshalb, um einigen Bedenken hier in Deutschland entgegenzutreten. Nämlich dass die Europäische Zentralbank ihre Aktivitäten nicht zu sehr ausweiten sollte. Klar ist, dass wir im Rahmen des Gesamtpaktes fragen, wie eine ausgeweitete Aktivität des Rettungsfonds aussehen könnte. Mir scheint, dass mehr Flexibilität akzeptiert werden sollte, immer natürlich im Gegenzug zu rigoroser Disziplin auf der anderen Seite.

Wie steht es mit der Möglichkeit, dass der Rettungsfonds Schulden, etwa die der Griechen, teils umstrukturieren könnte?
Die Spekulationen über solche Szenarien sind nicht hilfreich oder sinnvoll. Daran werde ich mich nicht beteiligen.

Mit Ihrem Vorstoß zur Ausweitung des Euro-Rettungsschirms haben Sie offensichtlich beim größten Geldgeber – Deutschland – einen bestimmten Nerv getroffen.
Ich kenne die Vorbehalte in Deutschland. Ich kenne die finanzpolitische und ökonomische Kultur der Bundesrepublik: Konsolidierung, Strukturreformen, Betonung der Wettbewerbsfähigkeit. Als ich noch Premierminister in Portugal war, wurde mir vorgeworfen, dieser Kultur zu nahezustehen. Und ich verstehe auch, wenn viele Deutsche jetzt sagen: Wir strengen uns an. Aber was tun die anderen?

Was entgegnen Sie denen?
Die Menschen in Deutschland müssen wissen, dass wir als Kommission alles tun werden, was wir können, damit die Mitgliedstaaten, die nicht diszipliniert gewirtschaftet haben, dies jetzt tun. Wir werden Reformen ihrer Wettbewerbsfähigkeit anstoßen, und viele Länder mussten bereits schmerzhafte Reformen einleiten. Ich möchte also die Fehleinschätzung in Teilen der Bevölkerung korrigieren, dass die Kommission einfach mehr Geld von den Deutschen verlangt. Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr.

Bereiten Sie nicht doch eine Transferunion vor? Ist das Ihre heimliche Agenda?
Ich habe keine heimliche Agenda. Und es gibt auch keine gemeinschaftliche Haftung für Staatsschulden. Wir wollen keine Transferunion – und wir machen keine. Kein Land ist verantwortlich für die Schulden eines anderen – nicht einmal jetzt mit dem Rettungsschirm. Was wir haben, ist ein System von Krediten und Kreditgarantien, das im Interesse aller Beteiligten für Stabilität sorgt.

Sie propagieren eine europäische Wirtschaftsregierung. Wie weit sollten die Sozialsysteme in der EU angeglichen werden?
Wir müssen die Politikkoordinierung der Europäischen Union weiter vertiefen und stärken. Dazu gehört auch das Bemühen, für eine Angleichung der sozialen Sicherungssysteme zu sorgen. Ich kann die Verärgerung in Deutschland nachvollziehen, wenn Sie hier das Renteneintrittsalter anheben, aber andere Länder, denen Deutschland sogar teilweise unter die Arme greift, weiterhin deutlich kürzere Lebensarbeitszeiten haben. Wir raten Ländern, ihre sozialen Sicherungssysteme auf die neuen Herausforderungen einzustellen – und dazu gehört teilweise auch ein höheres Renteneintrittsalter.

Das Gespräch führten Joachim Dorfs, Rainer Pörtner und Christopher Ziedler (Stuttgarter Zeitung).

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