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Laute Proteste sind am Ende die einzige Hoffnung für Menschen, die in autoritären Ländern zu Unrecht im Gefängnis sitzen.

© epd

Journalisten in Haft: Ein fortwährender Skandal ohne dauernde Empörung

Fünf Jahre dauert die Haft von Raif Badawi, 126 Tage die von Deniz Yücel, 50 Tage die von Mesale Tolu: Unser Bekenntnis zur Meinungsfreiheit ist noch zu still. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Max Tholl

Soll man erleichtert sein, dass Raif Badawi nun die Hälfte seiner Haftstrafe hinter sich hat oder empört, dass er mittlerweile schon fünf Jahre zu Unrecht in Haft sitzt? „Beleidigung des Islams“ lautete im Juni 2012 die offizielle Begründung für die Festnahme des saudischen Bloggers, der mit seiner Webseite „Freie saudische Liberale“ eine offene und pluralistische Debatte über die politischen Zustände im Königreich anstoßen wollte und somit den saudischen Herrschern zum Dorn im Auge wurde. In Wahrheit ist sein Fall eine Beleidigung der Meinungsfreiheit – und kein Einzelfall. Repressalien gegen Kritiker sind in Autokratien alltäglich. Einige Fälle sorgen international für Aufsehen und Protest, die meisten kritischen Stimmen verstummen aber ohne Nachhall.

Für Badawi wurde sein Strafmaß zu Fluch und Segen zugleich. Er wurde nicht nur zu zehn Jahren Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet knapp 250.000 Euro verurteilt, sondern auch zu 1000 Peitschenhieben, die über 20 Wochen alle acht Tage erfolgen sollten – ein Todesurteil auf Raten. Die ersten 50 Hiebe musste der Blogger in aller Öffentlichkeit über sich ergehen lassen. Kein einziger Schmerzensschrei ging ihm dabei über die Lippen.

Die größte Gefahr ist, dass sie vergessen werden

Die Fortführung der Stockhiebe wurde offiziell wegen Badawis kritischem Gesundheitszustand ausgesetzt. Ob das auch ohne den Protest und den Druck wichtiger Handelspartner, die durch die bestialische Praxis auf den Plan gerufen wurden, passiert wäre, ist fraglich. Saudi-Arabien musste zwischen Peitsche und Profit abwägen. Badawis Fall zeigt: Auch Autokratien haben Interessen und sind zu Kompromissen bereit. Dazu braucht es aber den Druck von außen, und der entfaltet sich nur durch Aufmerksamkeit.

Das öffentliche Interesse ist, woran sich inhaftierte Verfechter der Meinungsfreiheit wie Badawi, Deniz Yücel oder die deutsche Übersetzerin Mesale Tolu, die an diesem Montag vor 50 Tagen verhaftet wurde, klammern können. Es ist ihre Hoffnung auf Freilassung, ihre einzige Trumpfkarte gegen die Ungerechtigkeit. Allerdings zieht auch die nicht immer, siehe die Fälle Yücel, Tolu oder Dawit Isaak. Das ist der schwedisch-eritreische Journalist, der seit fast 17 Jahren in Eritrea im Gefängnis sitzt. Die größte Gefahr für sie alle bleibt dennoch das Vergessenwerden.

Badawis Gefangenschaft ist ein fortwährender Skandal ohne dauernde Empörung. Sein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit hat ihn hinter Gitter gebracht, unseres muss ihn da rausholen. Es ist zu still um ihn geworden.

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