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Politik: Juden häufiger Opfer von Gewalttaten

Allerdings sinkt Gesamtzahl antisemitischer Delikte / NPD verliert trotz gescheitertem Verbotsverfahren Mitglieder

Von Frank Jansen

Berlin. Die Sicherheitsbehörden haben 2003 einen deutlichen Rückgang antisemitischer Delikte registriert. Es seien 20 Prozent weniger Straftaten festgestellt worden, die sich gegen Juden und jüdische Einrichtungen richteten, sagten Sicherheitsexperten dem Tagesspiegel. Die Gesamtzahl lag unter 1300 Taten, 2002 waren es 1594. Einen endgültigen Wert für 2003 gibt es noch nicht, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz befinden sich aber in der Endphase der Auswertung aller Daten, die von den Polizeien der Länder geliefert wurden.

Grund für die Abnahme antisemitischer Delikte ist nach Ansicht von Sicherheitsexperten: 2003 habe ein „Fanal“ gefehlt, das so stark wirkte wie die monatelange Affäre 2002 um die antijüdischen Äußerungen des FDP-Politikers Jürgen Möllemann, der im Juni 2003 in den Tod stürzte. Diese hätten zahlreiche Straftaten provoziert, insbesondere Propagandadelikte.

Von Entwarnung ist allerdings keine Rede. Die Behörden registrierten eine Zunahme antijüdischer Gewalttaten: 2003 waren es 35, nach 28 im Jahr 2002 und 18 im Jahr 2001. Mit zwölf antisemitischen Gewalttaten, die sich in Berlin ereigneten, wurde ein Drittel in der Bundeshauptstadt verübt. In Berlin ist außerdem der wachsende Anteil nichtdeutscher Täter auffällig: Ausländer, vor allem jüngere, begingen die Hälfte aller antisemitischen Straftaten (Gesamtzahl 2003: 171).

Bei den rechtsextremistischen Straftaten bundesweit stellen die Behörden einen Rückgang auf etwa 10 500 fest (2002: 10 902). Die Zahl der Gewalttaten (2002: 772) bleibe allerdings „stabil“, heißt es in Sicherheitskreisen. Das Potenzial der gewaltbereiten Rechtsextremisten, vornehmlich Skinheads, sei aber geschrumpft (2003: 10 000, 2002: 10 700). Im Gegenzug verzeichneten die Neonazis, meist organisiert in 160 „Kameradschaften“, einen Zuwachs (2003: 3000, 2002: 2600). „Die Szene verfestigt sich“, sagte ein Experte. Es gebe einen Übergang „von subkulturellem Denken zu Neonationalsozialismus“. Die ideologische Verhärtung zeige sich auch im Internet, wo deutsche Rechtsextremisten 910 Homepages präsentieren und sich die Szene in zahlreichen Chatrooms und Foren tummelt. Außerdem versammelten sich Neonazis 2003 wieder zu mehr als 60 Aufmärschen (2002: 68). Eine Terrorstruktur gebe es trotz der Fanatisierung nicht. Der von Neonazis in München geplante Anschlag auf die Baustelle des jüdischen Gemeindezentrums sei „singulär“. Nach Angaben des bayerischen Innenministers Günther Beckstein soll das Attentat mit Hilfe des „großen Lauschangriffs“ verhindert worden sein.

Die Behörden beunruhigt zudem der „Erfolg“ des rechten Musikbusiness. Über die Szene hinaus gebe es in der Jugend eine „große Aufnahmebereitschaft“ für Hass-CDs, sagt ein Experte. 2003 kamen mehr als 100 CDs neu auf den Markt, die Zahl der einschlägigen Musikvertriebe stieg auf 54 (2002: 50). Außerdem wurden mehr als 100 rechtsextreme Konzerte registriert (2002: 112).

Im Gegensatz dazu sehen rechtsextreme Parteien alt aus. Die „Republikaner“ haben noch 8000 Mitglieder (2002: 9000), die DVU 11 500 (13 000) und die NPD schrumpfte, trotz des überstandenen Verbotsverfahrens, auf 5000 (6100).

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