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Samuels Handy: er lernt Arabisch und wohnt in der Banlieue, meist in Frieden.

© M. Amjahid

Juden in Frankreich: Viele wollen bleiben: „Ich bin Franzose“

Die Juden in Europa haben Angst, sie sind Ziel von Terrorattacken und dennoch geben sich viele von ihnen besonnen: Samuel Ruis zum Beispiel denkt auch über Auswanderung nach, seine Koffer wird er dennoch nicht packen.

Samuel Ruis passt die Synagoge vor seiner Haustür gar nicht. Er fährt lieber rund 40 Kilometer aus seinem Vorort Vitry-sur-Seine an die Bastille im Herzen von Paris, um den Schabbat in der Reformgemeinde zu feiern. „An der orthodoxen Synagoge vor meiner Haustür hängt ein Davidstern mit einem Durchmesser von zweieinhalb Metern“, nie sei etwas in der Banlieue passiert und er ist sich sicher, dass sich der Frieden nun nicht verflüchtigen werde. Sein Vorort sei etwas kommunistisch, die Diversität mit Asiaten, Afrikanern und Arabern stärke die Gemeinschaft. Juden seien dort gut aufgehoben, obwohl sie, wie er selbst auch, Angst in diesem Frankreich haben.   

Es trifft uns immer und überall“, bilanziert der 27-Jährige nüchtern nach den Anschlägen von Paris und Kopenhagen. Vor drei Monaten habe er in einem kleinen, hebräischen Gebetsbuch lautlos Psalmen an einer Bushaltestelle in Paris gelesen und wurde von zwei Jugendlichen angepöbelt. „Ich ziehe mein Kippa nicht auf der Straße an“, sagt er. Wer nun aber auf alle Muslime kollektiv mit dem Finger zeige, solle wissen, dass er, der Jude, zum Beispiel gerne mit seinen muslimischen Kollegen zusammenarbeite. „Ich kenne viele gläubige Muslime, das sind definitiv keine Salafisten“, erzählt Kaufmann. In Frankreich sei die Égalité ein hohes Gut, ein Ideal, für das es sich zu kämpfen lohne.   

Samuel hatte schon Gedanken an Auswanderung, aber er wird es dann doch nicht tun, sagt er.
Samuel hatte schon Gedanken an Auswanderung, aber er wird es dann doch nicht tun, sagt er.

© M. Amjahid

Gekämpft wird hier in den kommenden Jahren aber weiter auch um die Meinungsfreiheit. Der Komiker Dieudonné macht in Frankreich zum Beispiel regelmäßig mit seinem antisemitischen Programm Schlagzeilen. Dabei erzählt er schlechte Witze über Juden und reproduziert wissendlich judenfeindliche Bilder. Das findet ein bestimmtes Publikum, aus der Mitte der Gesellschaft, lustig. Jüdische Vertreter, die französische Regierung und auch Imame sprechen von Hass statt Humor. Ob diese Art von Humor nicht mit "Charlie Hebdo" vergleichbar ist? Samuel Rais muss lange überlegen. Nein. Getroffen habe ihn Dieudonné nicht so, wie einige Muslime ihre Gefühle nach den Mohammed-Karikaturen beschreiben.

Qu’est ce qui se passe? – Was passiert hier eigentlich?

In diesen Tagen gibt es in Frankreich nur eine Frage: Qu’est ce qui se passe? – Was passiert hier eigentlich? Das fragte sich Samuel am Tag des Attentats auf das Satiremagazin zusammen mit seinem Kollegen tunesischer Herkunft. „In der Betroffenheit sind wir alle Franzosen“, sagt er. Deswegen werde er nicht nach Israel auswandern, obwohl das viele junge Juden in Frankreich überlegen, sei dies keine Lösung. „Ich bin Franzose“, sagt er. 

Oma Ruis prägt ihren Enkel Samuel sehr. Sie, als algerische Jüdin, die nach der Unabhängigkeit Algeriens im Jahr 1962 nach Frankreich fliehen musste, habe noch die Drohungen der Unabhängigkeitskämpfer von damals im Ohr: „Wir verfolgen euch Franzosen über das Mittelmeer!“, erzählt die Oma ihrem Enkel regelmäßig. Die Gewalt von heute liegt auch ein wenig and er Gewalt von gestern, ist sich Ruis sicher. Sie werde auch von Generation zu Generation gegeben. Oma Ruis scheint aber eine weise und kühne Dame zu sein. Anders als viele andere Juden in Frankreich, lässt sie sich von den Rechtsextremen nicht für ihre Zwecke vereinnahmen: „Falls wir jetzt in die Arme des Front National fliehen, werden sie uns am nächsten Tag zusammen mit den Arabern rauswerfen“, erzählt Samuel von den Weisheiten seiner Großmutter.

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