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Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde, sorgt sich um die Verhältnisse im thüringischen Landtag.

© dpa

Jüdische Gemeinde Thüringen: "Unter unseren Mitgliedern wächst die Angst"

Reinhard Schramm entkam der Schoah. Die CDU, sagt der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Thüringen, habe versagt. Seine größte Furcht aber gilt anderen.

Als Kleinkind hat sich Reinhard Schramm, heute 75 Jahre alt, mit seiner Mutter vor den Nazis versteckt und so die Schoah überlebt. Nun ist er Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Thüringen und sieht nach der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten mithilfe der AfD seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Nun soll alles zurückgedreht werden.

Herr Schramm, was erwarten Sie nun von den Parteien?

Ich hoffe, dass aus den Fehlern gelernt wird. Und hoffentlich führen eventuelle Neuwahlen nicht dazu, dass die AfD noch mehr Stimmen gewinnt. Wenn Grüne und FDP aus dem Landtag fallen sollten, entsteht womöglich noch ein größerer Block von Nazis. Sollte die AfD weiter machen, muss man als Demokrat doch Angst bekommen und etwas dagegen tun.

Zum Beispiel?

Den Mut zu haben, als CDU und Linkspartei zusammenzuarbeiten – das wäre aus meiner Sicht eine Rettung der Demokratie.

Wie hat Ihre Gemeinde die Wahl von Herrn Kemmerich aufgenommen?

Wir waren erschüttert – unsere schlimmsten Befürchtungen haben sich bestätigt. Hier hat ein Ministerpräsident dank der AfD sein Amt übernommen. Das ist ein Erfolg der AfD und ein Versagen der demokratischen Parteien. Sie haben sich einer unmoralischen Aktion geschlagen gegeben. Mehr noch: Sie haben sie sogar genutzt, um einen Ministerpräsidentenposten von AfD-Gnaden auszuüben.

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Wie ist die Stimmung in Ihrer Gemeinde?

Unter den Gemeindemitgliedern wächst die Angst, die sich nach dem Mordanschlag in Halle und dem zunehmenden Nationalismus in Europa ausbreitet. Wir haben Angst vor der politischen Entwicklung, die sich aus der Ministerpräsidenten-Wahl ergeben könnte. Die AfD ist ihrem Ziel, als angeblich bürgerliche Partei der Mitte akzeptiert zu werden, ein Stück näher gekommen. Für einige Leute ist sie womöglich salonfähiger geworden.

Hatten Sie die Befürchtung, dass die AfD über die Kemmerich-Wahl an die Macht kommt?

Das geht nicht über Nacht. Hitler ist nicht über Nacht an die Macht gekommen. Aber auch er hat demokratische Mittel genutzt.

Haben Sie die Wahl von Kemmerich als abgekartetes Spiel empfunden?

Ich kann nicht sagen, ob es eine konzertierte Aktion war. Aber selbst wenn es nicht konzertiert war, ist es vom Ergebnis her schlimm und vor allem war es vorherzusehen. Man hätte die Wahl mit zwei, drei Stimmen verhindern können. Um diese Variante auszuschließen: dass Politik mithilfe der AfD gemacht werden kann. Die CDU hätte es gekonnt und hat es nicht getan. Es ist ganz schlimm, wie die CDU hier versagt hat.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der AfD in Thüringen?

Wir laden Sie nicht ein. Aber wenn ich jemanden von der AfD treffe, der auf mich zugeht, dann spreche ich mit ihm. Ich gehe seit 15 Jahren ins Gefängnis, spreche mit rechtsextremistischen Straftätern – ich kann mit jedem sprechen. Und ich würde nie behaupten, dass die AfD eine gleichmäßige Masse ist. Aber dass die AfD trotz der Führung von Björn Höcke akzeptiert und gewählt wird – dass spricht dafür, dass man Angst haben muss vor dieser Art von Mitläufern.

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